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geschätzten Gesamtertrags sollte beteiligt werden
können. Neben den Erträgen aus diesen neu zu
schaffenden Steuerquellen erwartete man aus
dem am 1. März 1906 in Kraft getretenen neuen
Zolltarif vom 25. Dez. 1902 noch eine Mehr-
einnahme an Zöllen, soweit diese nicht durch den
§+ 15 des ZollTG. vom 25. Dez. 1902 — Rl.
303 — (die sog. Lex Trimborn; s. hierzu auch G.
vöm 27. März 1911 — R#Bl. 97) für die Zwecke
einer Witwen= und Waisenversorgung festgelegt
waren und für den Reichshaushalt verwendet
werden konnten, im Betrage von etwa 25 Mill.
Mark. Das zweite Ziel des Gesetzentwurfs, die
dauernde Herbeiführung eines geordneten finan-
ziellen Verhältnisses zwischen dem Reich und den
Bundesstaaten, sollte erreicht werden durch Fest-
legung der Höchstgrenze der Belastung mit im
Lause des Rechnungsjahres zu zahlenden un-
gedeckten Matrikularbeiträgen in der Weise,
daß, soweit die von den Bundesstaaten aufzu-
bringenden Matrikularbeiträge in einem Rech-
nungsjahre den Sollbetrag der Überweisungen
um mehr als 40 à auf den Kopf der Bevölke-
rung übersteigen, die Erhebung des Mehrbetrags
für dieses Rechnungsjahr ausgesetzt werden sollte.
Der Kopfsatz von 40 H, der einer Gesamtsumme
von rund 24 Mill. Mark entspricht, lehnte sich
an den Betrag an, der wiederholt als die Höchst-
grenze der Belastung, die den Bundesstaaten
ohne Schädigung ihrer Interessen noch zu-
gemutet werden könne, anerkannt worden war.
Soweit der innerhalb des Rechnungsjahres un-
erhoben gebliebene Mehrbetrag an ungedeckten
Matrikularbeiträgen bis zum Jahresschlusse nicht,
sei es durch Minderung des eigenen Deckungs-
bedarfs des Reichs, sei es durch Mehrerträge der
Überweisungssteuern, seinen Ausgleich gefunden,
sollte der ungedeckt gebliebene Rest nach der Ab-
sicht des Entwurfs den ordentlichen Ausgaben
im Etat des zweitfolgenden Rechnungsjahres
hinzutreten und damit seiner Deckung zugeführt
werden. Bezüglich der Tilgung der Reichs-
anleiheschuld bestimmte der Entwurf in An-
lehnung an das Deckungsverfahren in Preußen,
daß eine solche vom Rechnungsjahr 1907 ab all-
jährlich in Höhe von mindestens ⅝/8 v. H. des
sich jeweils nach der Denkschrift über die Aus-
führung der Anleihegesetze ergebenden Schuld-
betrags zu erfolgen habe, wobei eine Absetzung
vom Anleihesoll einer Tilgung gleichgeachtet
werden sollte. Die zur Schuldentilgung erforder-
lichen Beträge sollten alljährlich durch den Reichs-
haushaltsetat bereit gestellt werden. Der § 2
des G., betr. Verwendung von Mehrerträgen
der Reichseinnahmen und üÜüberweisungssteuern
zur Schuldentilgung, vom 28. März 1903 (RBl.
109) — s. Abschn. II — sollte aufgehoben werden.
Dagegen sollte die durch das G. vom 14. Mai 1904
(Ral. 169) geschaffene Möglichkeit der Schulden-
tilgung aus Üüberschüssen (s. II) nebenbei noch
bestehen bleiben. Ferner enthielt der Entwurf
besondere Maßnahmen zur endgültigen Beseiti-
gung der gestundeten Matrikularbeitragsschulden
der Bundesstaaten an das Reich (s. II). Der R.
hat sich in seiner überwiegenden Mehrheit der
Notwendigkeit, für die wachsenden Bedürfnisse
des Reichs neue Steuerquellen zu eröffnen, nicht
verschlossen. Er hat sich hinsichtlich der Höhe des
Bedarfs des Reichs an neuen Einnahmen im tilgung im Reich ihre Regelung erfahren.
Reichsfinanzwesen
allgemeinen auf den Boden der Regierungs-
vorlage gestellt mit der Abweichung, daß er den
verfügbaren Mehrertrag aus den neuen Zöllen
nicht wie regierungsseitig mit 25 Mill. Mark,
sondern mit rund 45 Mill. Mark annehmen zu
können und davon ausgehen zu sollen glaubte,
daß die Bundesstaaten wie in den letzten Jahren
zur Leistung ungedeckter Matrikularbeiträge bis
zur Höhe von etwa 20 Mill. Mark würden heran-
gezogen werden können. Die Beschlüsse des RT.
zu den einzelnen Steuervorlagen beruhten hier-
nach auf der Annahme, daß ein Bedarf von an-
nähernd 180 Mill. Mark durch die Erschließung
neuer Einnahmequellen zu decken sei. Auch
hinsichtlich der Art und Weise der Beschaffung
dieser Mittel hat der RT. im Endergebnisse
seiner Beratungen den in der Vorlage vor-
gezeichneten Weg als den allein gangbaren in
der Hauptsache anerkannt. Er hat nicht nur den
von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen weit-
gehenden Eingriff in das direkte Besteuerungs-
recht der Einzelstaaten durch Einführung von
Reichseinkommen= und Reichsvermögenssteuern
abgelehnt, sondern auch eine stattliche Reihe
aus den Beratungen in der Kommission und
im Plenum hervorgegangener Steuervorschläge,
welche die regierungsseitigen Vorschläge teil-
weise ersetzen sollten (Reichswehrsteuer, Inse-
raten= und Plakatesteuer, Besteuerung der An-
sichtspostkarten, Besteuerung der stillgelegten
Zechen und der unbenutzten Grubenfelder, Berg-
werksteuer, Mühlenumsatzsteuer, Ausfuhrzölle auf
Kohlen, Kalirohsalze, Lumpen, Leder= und
Kautschukabfälle), als ungeeignet fallen lassen.
Aus dem Programm der verbündeten Regie-
rungen hat der RT. die Tabaksteuer, die Quit-
tungssteuer und beim Frachturkundenstempel die
Besteuerung des Stückgutverkehrs, insbesondere
auch des Postpaketverkehrs vollständig aus-
geschieden, dafür aber die Besteuerung der Per-
sonenfahrkarten erheblich ergiebiger gestaltet und
dem Reichsstempelgesetz noch die Besteuerung
der von den inländischen Aktiengesellschaften an
die Aufsichtsratsmitglieder gezahlten Vergütun-
gen beigefügt. Ferner hat der RT. zwei Reso-
lutionen beschlossen, welche die Herbeiführung
einer Erhöhung der Reichseinnahmen durch eine
Reform der Branntweinsteuer und durch Be-
eitigung der im Orts= und Nachbarverkehr be-
stehenden Ausnahmetarife für Postkarten, Druck-
sachen, Warenproben und Geschäftspapiere so-
wie durch die anderweite Festsetzung der Ge-
bühren für außerordentliche Zeitungsbeilagen
bezweckten. Der letzteren Resolution ist durch
Vf. des RK. mit Wirkung vom 1. Juli 1906
ab entsprochen worden. Die sämtlichen gesetz-
lichen Maßnahmen der Reichsfinanzreform von
1905/06 sind, um ihre Einheitlichkeit auch äußer-
lich in die Erscheinung treten zu lassen, in einem
einzigen Gesetze, betr. die Ordnung des Reichs-
haushalts und die Tilgung der Reichsschuld,
vom 3. Juni 1906 (sog. Mantelgesetz) — RBl.
620 — zusammengefaßt worden. In diesem Ge-
setz, als dessen Anlagen die einzelnen Steuer-
gesetze erscheinen, haben insbesondere die Frage
des Anteils des Reichs am Ertrage der Erb-
schaftssteuer, die Frage der ungedeckten Matri-
kularbeiträge und die Einführung einer Schulden-
as