Sittenzeugnisse — Sitzgelegenheit für Angestellte im Verkaufsgewerbe
Von der abolitionistischen Bewegung wird das
Verbot jeder Prostitution und die Abschaffung
der staatlichen Reglementierung angestrebt. —
Um zu verhüten, daß geschlechtlich erkrankte
Personen beiderlei Geschlechtes, welche nicht
Gewerbsunzucht treiben, ihr Leiden weiter ver—
breiten, empfiehlt es sich, deren Unterbringung
in Krankenhäusern durch Verständigung der Ge-
meinde= und Kassenvorsteher sowie Kassenärzte
herbeizuführen nach Maßgabe des Erl. vom
6. April 1893 (Ia 2157). Geschlechtskranke,
welche trotz Kenntnis ihres Zustandes durch Ge-
schlechtsverkehr eine Ansteckung verursachen, müs-
sen für ihr unverantwortliches und gemein-
gefährliches Verhalten auf Grund der 88 223 ff.,
230 StGB. zur Bestrafung gebracht werden,
wenn der gesetzliche Tatbestand irgend erweisbar
ist (Erl. vom 11. Dez. 1907). "
II. Auf dem Gebiete der S. im engeren Sinne
bewegen sich die Maßnahmen gegen Personen,
welche dem Spiel oder Trunk ergeben sind,
gegen solche kann nur eingeschritten werden,
wenn infolge ihrer Ausschweifungen zu ihrem
Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu
deren Ernährung sie verpflichtet sind, durch
Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in An-
spruch genommen werden muß. In diesem Falle
haben sie die Ubertretungsstrafen aus §8 361
Ziff. 5, 362 StGG. verwirkt. Die vorbeugenden
polizeilichen Maßnahmen gegen übermäßigen
Alkoholgenuß sind Aufgabe der Gewerbepolizei.
Das gewerbsmäßige Glücksspiel, das Dulden von
Glücksspielen an öffentlichen Versammlungs-
orten, sowie die Veranstaltung öffentlicher
Lotterien ohne obrigkeitliche Erlaubnis sind
strafrechtlich verboten (Stö B. §8 284—286).
S. hierzu Glücksspiele und Lotterien.
Neißer, Reglementierung der Prostitution; Blaschko,
HOugiene der Prostitution; Bettmann,, Arztliche UÜber-
wachung der Prostitution: Vergleichende Darstellung des
deutschen und ausländischen Strafrechtes, besonderer Teil
Bd. 4 S. 157.
Sittenzengnisse s. Atteste.
Sittlichkeitsverbrechen. Diejenigen straf-
baren Handlungen, welche in dem umfang-
reichen 13. Abschn. des St GB. als Verbrechen
und Vergehen wider die Sittlichkeit zusammen-
gestellt und mit sehr verschiedenen Strafen
bedroht sind, weichen teilweise in ihrer Natur
und in ihren Tatbeständen erheblich voneinander
ab. Bei der Doppelehe (§ 171), mit deren Be-
strafung im Zusammenhange stehen die des
Religionsdieners oder des Standesbeamten,
welcher trotz seines Wissens, daß eine Person
verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schließt
(§ 338), und die der Beamten, welche bei Schlie-
ßhung von Ehen in pflichtwidriger Weise mit-
wirken (PStu. vom 6. Febr. 1875 §8 67, 69),
und bei dem Ehebruche (§ 172), d. i. der vor-
sätzlichen Verletzung der ehelichen Treue durch
außereheliche Beischlafsvollziehung, die an beiden
Teilen bestraft wird, jedoch nur, wenn deswegen
die Ehe geschieden ist, und bloß auf Antrag,
überwiegt die Mißachtung der Heiligkeit der Ehe.
Bei einem Teile der Delikte handelt es sich neben
dem Angriff auf die Sittlichkeit auch noch um
einen solchen auf andere Rechtsgüter, namentlich
die körperliche Gesundheit und das Leben, so
bei dem Inzest (§ 173), der Unzucht unter Miß-
brauch eines Autoritätsverhältnisses (§ 174), der
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widernatürlichen Unzucht (§ 175), der gewalt-
samen Unzucht, unfreiwilligen Schwächung und
Unzucht mit IJugendlichen (88 176, 178), der Not-
zucht (§8 177, 178), der Erschleichung des Bei-
schlafs (§ 179) und der Verführung eines noch
nicht 16 jährigen Mädchens (§ 182). Auch die
schwere Kuppelei, namentlich soweit sie von
Autoritätspersonen oder Ehegatten geübt wird,
und die Zuhälterei sind keine Verbrechen, die
lediglich um der Unsittlichkeit willen geahndet
werden. Dagegen wird in der einfachen Kuppelei
nur ein in besonders bedenklicher Weise hervor-
tretendes Vorschubleisten der Unzucht bestraft
(s. Kuppelei). Bloße Vergehungen gegen
die Sittlichkeit sind die öffentliche Erregung von
Argernis durch eine unzüchtige Handlung (§ 183),
d. i. eine solche, welche das Scham= und Sittlich-
keitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung zu ver-
letzen geeignet ist, die öffentliche unzüchtige An-
kündigung und Darbietung von Unzuchtsgegen-
ständen und öffentliche Mitteilungen aus einem
Prozeß, in dem wegen Gefährdung der Sittlich-
keit die Offentlichkeit ausgeschlossen war. Bereits
die private Darbietung von Unzuchtsschriften usw.
ist strafbar, wenn sie an Personen unter 16 Jahren
geschieht, und solchen Personen gegenüber ist
sogar schon das Anbieten und Überlassen von
Schriften strafbar, welche, ohne unzüchtig zu
sein, das Schamgefühl gröblich verletzen (§ 184
in der ihm durch das G. vom 25. Juni 1900 —
die sog. Lex Heinze — gegebenen Fassung, welche
teilweise neben dem Sittlichkeitsgefühle das bloße
Anstandsgefühl zum Gegenstande des Schutzes
gemacht hat). Als Ubertretung wird die gewerbs-
mäßige Unzucht unter gewissen Voraussetzungen
(s. Ge wperbsmäßige Unzucht) bestraft
(§ 361 Ziff. 0)0. S. auch Freiheit III und
Konkubinat, sowie Mädchenhandel
und Sittenpolizei.
Roeren, Die Sittlichkeitsgesetgebung der Kultur-
staaten.
Sitzgelegenheit für Angestellte im Berkaufs-=
gewerbe. Nach R# Bek. vom 28. Nov. 1900
(RG#l. 1033) hat der BR. auf Grund der GewO.
## 139 h hinsichtlich der Einrichtung von Sitz-
gelegenheit für Angestellte in offenen Verkaufs-
stellen (s. d.) beschlossen, daß in denjenigen
Räumen der offenen Verkaufsstellen, in welchen
die Kundschaft bedient wird, sowie in den zu
solchen Verkaufsstellen gehörenden Schreibstuben
(Kontoren) für die daselbst beschäftigten Gehilfen
und Lehrlinge eine nach der Zahl dieser Personen
ausreichende geeignete Sitzgelegenheit vorhanden
sein muß. Für die mit der Bedienung der Kund-
schaft beschäftigten Personen muß die Sitz-
gelegenheit so eingerichtet sein, daß sie auch wäh-
rend kürzerer Arbeitsunterbrechungen benutzt
werden kann. Die Benutzung der Sitzgelegen-
heit muß den bezeichneten Personen während
der Zeit, in welcher sie durch ihre Beschäftigung
nicht daran gehindert sind, gestattet werden. Die
Landeszentralbehörden und die Polizeibehörden
sind befugt, auf Grund der §§ 103 g, 103 h Abs. 2
GewpO. besondere Anforderungen hinsichtlich der
Sitzgelegenheit in Rücksicht auf die Zahl der Per-
sonen, für die sie bestimmt ist, und hinsichtlich
ihrer Lage und Beschaffenheit zu stellen. Straf-
bestimmung in GewO. § 147 Abs. 1 Ziff. 4.
Wegen der Sitzgelegenheit für Arbeiterinnen