744 Ubertragbare Krankheiten
II. Die rechtliche Unterlage für polizeiliche derungsräume, Desinfektionsapparate, Beförde-
Zwangsmaßregeln zur Bekämpfung der ül. K. rungsmittel für Kranke und für Leichen, Leichen-
sind gegeben durch das G., betr. die Bekämpfung hallen, Begräbnisplätze (§ 23 des G. vom
gemeinge fährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 30. Juni 1900 und § 29 des G. vom 28. Aug.
1900 (Roönl. 306) und das G., betr. die Be= 1905; allgem. AusfBest. vom 15. Sept. 1906 zu
kämpfung ü. K., vom 28. Aug. 1905 (GS. 373). diesem Paragraphen — MMl. 384 — und
Daneben ist das zur Verhütung der Pocken= O. 52, 285). Zuständig für entsprechende
erkrankungen erlassene Reichsimpfgesetz vom Auflagen an die Gemeinden ist die Kommunal-
8. April 1874 (R#Bl. 31) und das A. dazu aufsichtsbehörde. Bei Leistungsunfähigkeit einer
vom 12. April 1875 (GS. 191) aufrechterhalten Gemeinde tritt Kostenpflicht der Provinz ein
(st. Impfgesetz). Zum G. vom 30. Juni 1900 (88 30, 31 des G. vom 28. Aug. 1905).
sind allgemeine Ausführungsvorschriften nicht 3. Schutz des Inlandes vor den
ergangen, wohl aber Bestimmungen zur Be= ü. K. im Auslande. Zur Verhütung der
kämpfung der Pest (Bek. vom 6. Okt. 1900 — Einschleppung einer gemeingefährlichen Krank-
RGBl. 849 — nebst preuß. AusfBest. vom heit (s. d.) oder der Körnerkrankheit, des Rückfall-
26. Nov. 1902 — MMBl. 1903, 54), sowie der fiebers, des Typhus kann der Einlaß der See-
Cholera, der Pocken, des Fleckfiebers und des schiffe von der Erfüllung gesundheitspolizeilicher
Aussatzes (Bek. vom 21. Febr. 1904 — RGBl. Vorschriften abhängig gemacht sowie der Einlaß
67 — nebst Desinfektionsanweisungen vom anderer Fahrzeuge, die Ein= und Durchfuhr von
11. April 1907 — RGBl. 95 — sowie preuß. Waren und Gebrauchsgegenständen, der Eintritt
AussBest. vom 12. Sept. 1904 —. MM Bl. 353) und die Beförderung von Personen aus dem von
und Vorschriften über die gesundheitliche Uber= der Krantkheit befallenen Lande verboten oder
wachung der Seeschiffe (Bek. vom 29. Aug. 1907 beschränkt werden. Zuständig ist hinsichtlich der
— R#l. 563). Zum G. vom 28. Aug. 1905 be= gemeingefährlichen Krankheiten der B., hin-
stehen die allgem. Ausf Best. vom 15. Sept. 1906 sichtlich der anderen das Staatsministerium. Die
(MMl. 372) sowie Einzelanweisungen zur Be-Handhabung der Vorschriften tritt erst auf beson-
kämpfung der Diphtherie, der Genickstarre, des deren Beschluß des RK. bzw. des Staatsmini-
Kindbettfiebers, der Körnerkrankheit, der Ruhr, steriums ein (§§824, 25 des G. vom 30. Juni 1900;
des Scharlachs, des Typhus, des Milzbrandes, des § 10 des G. vom 18. Aug. 1905). Vom Bh. sind
Rotzes (Beilage zu Nr. 16 des MBl. 1906). — entsprechende „Vorschriften über die gesundheit-
Das G. vom 30. Juni 1900 regelt das Verfahren liche Behandlung der Seeschiffe in den deut-
bei Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest, schen Häsen“ nebst Desinfektionsanweisung vom
Pocken („gemeinge fährliche Krank- 29. Aug. 1907 (RGBl. 563) erlassen worden
heiten“ — s. d.); das G. vom 28. Aug. 1905 (s. Seeschiffe, gesundheitliche Über-
dasienige bei Diphtherie, Genickstarre, Kindbett= wachung). Verletzung der Vorschriften ist mit
fieber, Körnerkrankheit, Rückfallfieber, Ruhr, Strafe bedroht (§ 46 Nr. 3 des G. vom 30. Juni
Scharlach, Typhus, Milzbrand, Rotz, Tollwut 1900; § 36 Nr. 3 des G. vom 28. Aug. 190;
sowie Bißverletzungen durch tolle oder der Toll= StGB. 8§ 327).
wut verdächtige Tiere, Fleisch-, Fisch= und Wurst-e- 4. Feststellung des Ausbruchs
vergiftung, Trichinose, Lungen= und Kehlkopf= und des Verlaufs einer ü. K. im
tuberkulose und den drei Geschlechtskrankheiten Inlande. a) Die unerläßliche Voraussetzung
Syphilis, Tripper und Schanker ((. Geschlechts= für die Verhütung der Ausbreitung einer ü. K.
krankheiten). Beide GCesetze enthalten bildet für die Behörden die Kenntnis der ein-
außerdem allgemeine Vorschriften über ü. K. zelnen Krantheitsfälle. Insbesondere wird die
(§§ 5 Abs. 2, 27, 35 Abs. 2, 38, 39 Abs. 3 des G.] Kenntnis der ersten Fälle für die Verhütung
vom 30. Juni 1900 und §§ 5, 7, 11 Abs. 1, 33 von Epidemien oft entscheiden. Daher ist zunächst
des G. vom 28. Aug. 1905). die Anzeigepflicht eingeführt. Diese
III. Nach diesen Vorschriften lassen sich fünf besteht aber weder allgemein für alle gesetzlich
verschiedene Stadien des Kampfes gegen die ü. K. der Bekämpfung unterworfenen ü. K. (val. II),
unterscheiden: noch ist ihr Inhalt überall gleich. Bei den ge-
1. Vorbeugung. Die dem Gemeinge= meingefährlichen Krantheiten (s. d.) und zufolge
brauch dienenden Einrichtungen zur Versorgung Bek. vom 28. Sept. 1909 (Rl. 933) bei
mit Trink= oder Wirtschaftswasser und zur Fort= Milzbrand erstreckt sie sich auf Erkrankungen,
schaffung der Abfallstoffe sind dauernd staatlich Todesfälle, verdächtige Fälle, sowie auf den.
zu überwachen. Zur Beseitigung gesundheitsge-Wechsel der Wohnung oder des Aufenthalts-
fährlicher Mißstände auf diesem Gebiet und zur orts eines Erkrankten. Bei Diphtherie, Genick-
Herstellung derartiger Einrichtungen, sofern sie starre, Kindbettfieber, Körnerkrankheit, Rückfall-
zum Schutz gegen ü. K. erforderlich sind, sind die fieber, Ruhr, Scharlach, Typhus, Rotz, Tollwut
Gemeinden nach Maßgabe ihrer Leistungsfähig= sowie Bißverletzungen durch tolle oder der Toll-
leit an zuhalten (§ 35 des G. vom 30. Juni 1900; wut verdächtige Tiere, Fleisch-, Fisch= oder Wurst-
vgl. §§ 74, 75, 84 a der Dienstauw. f. d. Kreisärzte vergiftung und Trichinose scheiden die bloß ver-
vom 1. Sept. 1909 — MMl. 381). Zuständig dächtigen Fälle für die Anzeigepflicht aus. Bei
für entsprechende Auflagen an die Gemeinden ist Lungen- und Kehlkopftuberkulose sind nur die
die Ortspolizeibehörde (O VG. 45, 103; 46, 423). Todesfälle anzuzeigen. Für die Geschlechts-
2. Bereitstellung der Kampfes- krankheiten besteht keine Anzeigepflicht. Vgl.
mittel. Die Gemeinden sind verpflichtet, die die §§ 1 beider Gesete. Die vom G. vom 28. Aug.
zur Durchführung der Schutzmaßregeln (vgl. 5) 1905 begründete Anzeigepflicht ist milder als
erforderlichen Einrichtungen zu treffen. Dies die vom G. vom 30. Juni 1900 begründete.
sind insbesondere: Beobachtungs= und Abson= Erstere verlangt die Anzeige binnen 24 Stunden