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bestehender Steuern von der Zustimmung des
Vereinigten Landtags abhängig und gewährte
ihm auch das Petitionsrecht in inneren An-
gelegenheiten; in bezug auf die Gesetzgebung
wurde dagegen dem Vereinigten Landtage nur
eine beratende Mitwirkung im Umfange der
den Provinzialständen beigelegten Befugnisse
eingeräumt. Ausdrücklich wurde vom Könige
erklärt, daß die neue Vertretung eine Fort-
bildung der alten ständischen Vertretungen sein
und derselben der Charakter einer Repräsentation
im modernen Sinne nicht zukommen solle. —
Die Märzereignisse des Jahres 1848 setzten der
Tätigkeit des Vereinigten Landtages und des
gleichzeitig mit ihm eingerichteten Vereinigten
Ständischen Ausschusses sehr bald ein Ziel. Zum
leßtten Male trat der Vereinigte Landtag im
April 1818 zusammen, um, nachdem er binnen
wenigen Tagen den ihm vorgelegten Entwürfen
eines „Wahlgesetzes für die zur Vereinbarung
der preuß. Staatsverfassung zu berufende Ver-
sammlung“ und einer „Verordnung über einige
Grundlagen der preuß. Verfassung“ zugestimmt
hatte, im Mai 1848 der auf Grund des ersteren
Gesetzes gewählten Nationalversamm-
lung Platz zu machen. Die Beratungen der
Nationalversammlung über die zu erlassende V.
wurden nicht zu Ende geführt. Der Verlauf,
welchen die Verhandlungen nahmen, und die
Haltung der Bevölkerung nötigten die Regie-
rung, die Versammlung von Berlin nach Branden-
burg zu verlegen, und dieselbe, als auch diese
Maßregel sich als fruchtlos erwies, am 5. Dez.
1848 aufzulösen. Noch an demselben Tage
wurden von der Krone eine Verfassungsurkunde,
und am Tage darauf für die nach der letzteren
zu bildenden beiden Kammern Wahlgesetze er-
assen. Die neu gewählten Kammern wurden
im Februar 1849 zusammenberufen; Ende
April wurde indessen die zweite Kammer, unter
gleichzeitiger Vertagung der ersten, aufgelöst
und auf Grund einer nach der oktroyierten
Verfassung als Notverordnung erlassenen ander-
weiten Verordnung vom 30. Mai 1849 (GS. 205),
welche in ihren wesentlichen Teilen noch gegen- #“
wärtig gilt, eine Neuwahl für die aufgelöste
Kammer vorgenommen. Am 7. Aug. 1849
traten die Kammern von neuem zusammen,
um die Revision der oktroyierten Verfassungs-
urkunde vom 5. Dez. 1848 durchzuführen. Ende
Januar waren die Beratungen beendet und am
31. Jan. 1850 konnte die Verfassungs-
urkunde, nachdem sie in Ubereinstimmung
mit den beiden Kammern endgültig festgestellt
war, vom Könige vollzogen und in der Gesetz-
sammlung (GS. 17) als Staatsgrund-
gesetz verkündet werden.
II. Die preuß. V. ist den V. anderer Länder,
insbesondere Belgiens, nachgebildet. Im Gegen- -
satz zu dem auch in der letzteren befolgten System,
nach welchem der jeweiligen Majorität der
Volksvertretung auf die Leitung des Staates
und seiner Gesetzgebung ein überwiegender
Einfluß eingeräumt ist (sog. parlamen-
tarisches System), wird in der preuß. V.
das monarchische Prinzip streng gewahrt. Der
grundlegende Gedanke des ALmR. (Teil II Tit. 13
8 1): „Alle Rechte und Pflichten des Staates
gegen seine Bürger und Schutzverwandten ver-
Verfassung (preußische)
einigen sich in dem Oberhaupte desselben“,
wird nicht geändert. Die Krone, deren Erb-
lichkeit im Mannesstamm des Kgl. Hauses
festgelegt ist (Art. 53), bildet auch nach der V.
den Mittel- und Schwerpunkt des gesamten staat-
lichen Lebens. In ihr verkörpert sich die Staats-
gewalt. Der König ist der allein Regierende.
Die gesamte Exekutive beruht allein bei ihm
(Art. 45). Sein Wille ist der entscheidende,
insofern ohne denselben oder gegen denselben
im staatlichen Leben nichts geschehen kann.
Aber die Regierungsgewalt des Königs ist seit
Emanation der V. nicht mehr eine schranken-
lose und absolute.. Sie ist an das Gesetz ge-
bunden und durch die in der V. der Volks-
vertretung beigelegten Rechte beschränkt. For-
mell kommt dies dadurch zum Ausdruck, daß
der König gehalten ist, das eidliche Gelöbnis
auf die Innehaltung der V. und der Gesetze
abzulegen (Art. 54 Abs. 2), und daß alle seine
Regierungsakte, abgesehen von den auf Grund
der Kommandogewalt erlassenen Armeebefehlen
(s. d.), zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung
eines Ministers bedürfen, welcher dadurch die
Verantwortlichkeit übernimmt (Art. 44); mate-
riell darin, daß auf den wichtigsten Gebieten,
insbesondere denjenigen der Gesetzgebung und
der Finanzgewalt, der König der Zustimmung
der Volksvertretung bedarf und daß zugleich
der letzteren insbesondere durch das Budgetrecht
ein erheblicher Einfluß auch auf die Verwaltung
ermöglicht wird. Die Volksvertretung ist in
zwei Kammern geteilt. Die zweite Kammer —
jetzt das Abgeordnetenhaus (s. d.) — geht aus
allgemeinen Wahlen hervor, welche nach Ab-
lauf der Legislaturperiode (Art. 75; s. Legis-
laturperiode)J, sowie im Falle der Auf-
lösung vorzunehmen sind (Art. 51); die erste
Kammer — jetzt das Herrenhaus (s. d.) —
setzt sich aus Mitgliedern mit erblicher Berechti-
gung sowie aus präsentierten und aus Aller-
höchstem Vertrauen auf Lebenszeit berufenen
Mitgliedern zusammen. Preußen ist danach
fine konstitutionelle Monarchie mit Zweikammer-
tem.
III. Die VlU. vom 31. Jan. 1850 zerfällt
außer allgemeinen und Übergangsbestimmungen
(Art. 106—111, sowie 112—119) in neun Titel.
Der erste (Art. 1 u. 2) handelt vom Staats-
gebiete (s. d.); der zweite von den Rech-
ten der Preußen (Art. 3—42); der
dritte bis fünfte von dem Könige (Art. 43
bis 59), von den Ministern (rt. 60 u. 61)
und von den Kammern (Art. 62—85); der
sechste von der richterlichen Gewalt
(Art. 86—97); der siebente (Art. 98) von den
nicht zum Richterstande gehöri-
gen Staatsbeamten; der achle (Art. 99
bis 104) von den Finanzen. Der neunte
Abschnitt (von den Gemeinden, Kreis-,
Bezirks= und Provinzialverbän.=
den) ist durch das G. vom 24. Mai 1853
(GS. 228) ersetzt worden und hat durch den
Erlaß der neueren Gemeinde-, Kreis= und
Provinzialordnungen seine Erfüllung gefunden.
Von den Gesetzen, durch welche die Verfassungs-
urkunde geändert worden ist, sind außer
den Gesetzen, durch welche die Zahl der Ab-
geordneten anderweit bestimmt und die Be-