824
zu jedem Gesetze erforderlich (Art. 62). Nur
in Notfällen kann der König, wenn die Kam-
mern nicht versammelt sind, Verordnungen mit
Gesetzeskraft erlassen, welche jedoch den Kam-
mern sofort bei ihrem nächsten Zusammentritt
zur Genehmigung vorzulegen sind (Art. 63; s.
Notverordnungenhyy). Das Recht, Gesetze
vorzuschlagen, steht dem Könige und jedem
Hause des Landtages zu; Gesetzesvorschläge,
welche durch eins der Häuser oder den König
verworfen sind, können in derselben Sitzungs-
periode nicht wieder vorgelegt werden (Art. 64).
Nicht minder eingreifend ist die Mitwirkung der
Volksvertretung auf dem Gebiete des Finanz-
wesenns. Alle Einnahmen und Ausgaben
müssen für jedes Jahr im voraus veranschlagt
und auf den Staatshaushaltsetat gebracht wer-
den, welcher jährlich durch ein Gesetz festgestellt
wird (Art. 99). Die Staatshaushaltsetats und
Finanzgesetzentwürfe werden dem AbgH. zuerst
vorgelegt; die Staatshaushaltsetats können vom
Herrenhause nur im ganzen angenommen oder
abgelehnt werden (Art. 62). Die Aufnahme von
Anleihen für die Staatskasse kann ebenso wie
die Übernahme von Garantien zu Lasten des
Staates gleichfalls nur auf Grund eines Ge-
setzes stattfinden (Art. 103). An der Staats-
schuldenverwaltung nehmen Mitglieder des Land-
tages teil (G., betr. die Verwaltung des Staats-
schuldenwesens und Bildung einer Staatsschul-
denkommission, vom 24. Febr. 1850 — GS. 57
— 8§§ 1, 10 ff.). Zu Etatsüberschreitungen ist
die nachträgliche Genehmigung des Landtages er-
forderlich, welchem auch die von der Oberrech-
nungskammer aufzustellende und mit ihren Be-
merkungen zu versehende Jahresrechnung überden
Staatshaushaltsetat zur Entlastung der Staats-
regierung vorzulegen ist (Art. 104 und § 18 des
Oberrechnungskammergesetzes vom 27. März 1872
— G. 278). Steuern und Abgaben für die Staats-
kasse dürfen nur, soweit sie in den Staatshaushalts-
etat aufgenommen oder durch besondere Gesetze
angeordnet sind, erhoben werden (Art. 100).
Wegen der Zustimmung zu gewissen Verträgen
(Art. 48) s. Staatsverträge. — Die Fest-
stellung des Staatshaushaltsetats gewährt der
Landesvertretung das wirksamste Mittel, ihre
Meinung der Regierung gegenüber zur Gel-
tung zu bringen und eine Einwirkung auf die
Verwaltung auszuüben. Weitere Handhaben
hierzu bietet beiden Häusern das Recht, Adressen
an den König zu richten (Art. 81 Satz 1; s.
Adressen); die Befugnis, an sie gerichtete
Schriften an die Minister zu überweisen (s.
Petitionsrecht) und von denselben Aus-
kunft über eingehende Beschwerden zu verlan-
gen (Art. 81 Satz 3), sowie die weitere Befugnis,
behufs ihrer Information Kommissionen zur
Untersuchung von Tatsachen zu ernennen (sog.
parlamentarische Untersuchungskommissionen;
Art. 82; Kommissionen in den
parlamentarischen Vertretungs-
körpern)g). Die Formen, in welchen die Häuser
des Landtages ihrer Willensmeinung der Re-
gierung gegenüber Ausdruck geben, sind, soweit
es sich nicht um die Gesetzgebung handelt, ge-
schäftsordnungsgemäß verschieden. In der Haupt-
sache dienen hierzu Anträge, Resolutionen, Über-
weisungen der Petitionen, Interpellationen (s. d.).
Verfassung (preußische)
VI. Beide Häuser des Landtags regeln ihren
Geschäftsgang und ihre Disziplin durch
eine Geschäftsordnung (Herrenhaus
zuletzt Fassung vom 15. Juni 1892; Abgeordneten-
haus zuletzt Fassung vom 16. Mai 1876, in
neuerer Zeit erheblich verschärft) und erwählen
ihre Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und
Schriftführer (Art. 78 Abs. 1). Die Sitzungen
sind öffentlich; geheime Sitzungen finden auf
Antrag des Präsidenten oder von zehn Mit-
gliedern statt (Art. 79). Die Minister, sowie
die zu ihrer Vertretung abgeordneten Staats-
beamten haben Zutritt zu jedem Hause und
müssen auf ihr Verlangen zu jeder zest gehört
werden. Auf der anderen Seite kann jedes
Haus die Gegenwart der Minister verlangen
(Art. 60). Zu gemeinschaftlichen Sitzungen ver-
einigen sich die Häuser, abgesehen von der
Eröffnung und Schließung, welche durch den
König in Person oder durch einen dazu von
ihm beauftragten Minister geschieht (Art. 77
Abs. 1), nur zur Entgegennahme des eidlichen
Gelöbnisses des Königs oder Regenten (Art. 54
Abs. 2 und 58), sowie zur Beschlußfassung über
die Notwendigkeit einer Regentschaft (s. d.) und
die Wahl eines Regenten (Art. 57, 58). Die-
Mitglieder beider Häuser des Landtages leisten
dem Könige den Eid der Treue und des Gehor-
sams und beschwören die gewissenhafte Be-
obachtung der V. (Art. 108 Abs. 1). Sie sind
Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen
nach ihrer Überzeugung und sind an Aufträge
und Instruktionen nicht gebunden (Art. 83).
Sie können wegen ihrer Abstimmungen nie-
mals, wegen ihrer in Ausübung ihres Berufes
getanenen Außerungen nur innerhalb des fuses,
dem sie angehören, auf Grund der Geschäfts-
ordnung zur Rechenschaft gezogen werden
(Art. 84; . Redefreiheit). Besonderen
Schutz genießen die Mitglieder des Landtages
für ihre Person (Immunität), welche ihnen
auch während der Vertagung verbleibt. Neben den
strafgesetzlichen Bestimmungen (St GB. 88§ 105,
106, von denen § 105 auch den Schutz der
parlamentarischen Versammlungen als solcher be-
trifft) kommen hierbei die Vorschriften des Art. 84
Abs. 2 u. 3 Vl.; § 6 Ziff. 1, EGSt PO. vom
1. Febr. 1877 (Rel. 346) und §8 904 Ziff. 1
und 905 Ziff. 1 RZPO. in der Fassung vom
20. Mai 1898 (RöBl. 410) in Betracht. Nach
denselben kann kein Mitglied eines Hauses
während der Sitzungsperiode ohne die Genehmi-
gung des letzteren wegen einer mit Strafe be-
drohten Handlung zur Untersuchung (auch Vor-
untersuchung und Haussuchung) gezogen oder
verhaftet werden, außer wenn es bei Ausführung
der Tat oder im Laufe des nächstfolgenden
Tages nach derselben ergriffen wird. Eine
gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung
wegen Schulden notwendig und nach 3#O.
§§ 382, 402, St PO. §§ 49, 72, wenn das Mit-
lied eines Hauses außerhalb des Sitzes des
etzteren als Zeuge oder Sachverständiger ver-
nommen werden soll. Auch wird jedes Straf-
verfahren und eine jede Untersuchung oder
Zivilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode auf-
gehoben, wenn das betreffende Haus es ver-
langt. Das Amt eines Geschworenen oder
Schöffen kann von den Mitgliedern der beiden