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Alle im Laufe des Verfahrens ergehenden
Entscheidungen sind ihr bekanntzumachen (Et PO.
8 465). Im übrigen regelt sich das Verfahren
auf die von der Verwaltungsbehörde erhobene
Anklage nach den für die Privattlage gegebenen
Bestimmungen (§8 466). Hat der Beschuldigte
egen einen Strafbescheid auf gerichtliche Unter-
ohung angetragen, oder hat die Staatsanwalt-
schaft die Anklage erhoben, so kann die Ver-
waltungsbehörde, um ihre Ansichten unmittel-
bar vor dem Gerichte zu entwickeln, sei es,
weil die Sache eingehende technische Erörte-
rungen erfordert, sei es, weil sie für die Ver-
waltung von grundsätzlicher Wichtigkeit ist, sich
der Verfolgung anschließen, und sic hat alsdann
gleichwie bei einer von ihr erhobenen Antlage
einen Vertreter zu bestellen. In diesem Falle
kommen die für den Anschluß des Verletzten
als Nebenkläger gegebenen Bestimmungen zur
Anwendung (§8 467). Wenn die Verwaltungs-
behörde die Anklage erhoben oder sich der Ver-
folgung angeschlossen hat, so sind ihr das Urteil
und alle sonstigen Entscheidungen zuzustellen,
auch wenn sie bei deren Verkündung vertreten
gewesen ist (§ 468). Die Fristen zur Einlegung
von Rechtsmitteln beginnen für die Verwal-
tungsbehörde erst mit der Zustellung. Zur An-
bringung von Revisionsanträgen und zur Gegen-
erklärung auf solche steht der Verwaltungs-
behörde eine Frist von einem Monate zu (8 469).
IV. Die reichsrechtlichen Vorschriften schließen
nicht aus, daß sich der Beschuldigte unter Ein-
räumung der Zuwiderhandlung und ihres Tat-
bestandes und unter Verzicht auf Erlaß eines
Strafbescheids freiwillig der Straffestsetzung der
Verwaltungsbehörde unterwirft (sog. Sub-
missionsverfahren). Über diese frei-
willige Unterwerfung verhalten sich
die §§ 20 u. 21 des G. vom 26. Juli 1897.
V. Im Gebiete der preußischen
Verwaltung der Zölle und indi-
rekten Steuern ist das V. besonders aus-
gebildet. Näheres s. unter Zollstrafver-
fahren.
VI. In Angelegenheiten der direkten
Staats= und der Gemeindesteuern
findet ein V. nicht statt. Die Regierungen und
in Angelegenheiten der Gemeindesteuern die Ge-
meindevorstände sind nur zu einer vorläufigen
Straffestsetzung unter gewissen Voraussetzungen
berechtigt. Diese Straffestsetzungen verlieren
aber, wenn die Strafe nicht innerhalb der ge-
stellten Frist freiwillig gezahlt wird, ihre Kraft
dergestalt, daß die Strafverfolgung durch das
Gericht eintritt; sie werden also nie, wie die
Strafbescheide im Sinne der #8§ 459 ff. St P.
bzw. der §§ 36 ff. des G., betr. das V., vom
26. Juli 1897, rechtskräftig und vollstreckbar.
Vgl. die Artikel Steuerhinterziehungen
und Steuerstrafen; Gewerbebetrieb
im Umherziehen (Besteucrung).
Berwaltungsstreitverfahren. I. Geschichte.
Das V., welchem die Begriffe Verwaltungs-
rechtspflege, Verwaltungsgerichtsbarkeit und
Verwaltungs(Administrativ)justiz, Verwaltungs-
streitsachen oder streitige Verwaltungssachen ent-
sprechen, ist die zuletzt ausgebildete Prozeßart
(s. Prozeß und Prozeßordnungen)
und erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit als
Verwaltungsstreitverfahren
etwas Besonderes und Ebenbürtiges neben den
Zivilprozeß, den Strafprozeß und das Verfahren
in den Angelegenheiten der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit getreten. Seine ersten Anfänge
wird man, abgesehen von einzelnen bloßen An-
sätzen zu ihm, die sich schon früher, namentlich
auch in den Gebieten des jetzigen Deutschen
Reichs und Csterreichs finden, die aber ohne
systematische Weiterentwicklung geblieben sind,
darin zu suchen haben, daß die franz. Gesetz-=
gebung von 1800 die Angelegenheiten der ad-
ministration pure und des contentieux ad-
ministratif voneinander schied und die ersteren
den Einzelbeamten beließ, die letzteren dagegen
Kollegien (den conseils de préfecture und den
conseil d’Etat) übertrug. Die weitere Ent-
wicklung ist dann in Frankreich eigenartig ge-
blieben. Es erstreckt sich insbesondere die Zu-
ständigkeit der dortigen Verwaltungsgerichte
auf zahlreiche Sachen, bei denen der Staat
lediglich als Fiskus beteiligt ist, und die nach
unseren Anschauungen vor die ordentlichen Ge-
richte gehören, ferner auch auf manche Straf-
sachen, während sie für die Verwaltungssachen
eng begrenzt ist. Allein dem Staatsrat ist in
letzterer Beziehung eine umfassendere Zuständig-
keit beigelegt. Ferner ist das Verfahren bloß
teilweise besonders geregelt. In England hat
es weder früher eine cigentliche Verwaltungs-
gerichtsbarkeit gegeben, noch gibt es jetzt cine
solche. Viclmehr haben nur, während einerseits
die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zum
Teil nicht einmal für reine Privatrechtsstreitig-
keiten zwischen dem Staate als Fiskus und den
einzelnen besteht, anderersecits einmal die Frie-
densrichter auch über verschiedene Verwaltungs-
angclegenheiten zu entscheiden, wobci für diese
fricdensrichterliche Verwaltungsjustiz in gewissem
Umfange eine richterliche Kontrollinstanz besteht,
und üben ferner auf den Gebieten des Armen-,
Gesundheits= und Wegewesens bestimmte Ver-
waltungsbehörden gleichfalls eine Rechtsprc-
chung aus, jedoch ohne eine richterliche Kon-
trollinstanz. In Italien waren früher in Nach-
bildung der franz. Verhältnisse die Präseltur-
räte und der Staatsrat als Verwaltungsgerichte
tätig, dann wurde aber die Zuständigkeit der
ordentlichen Gerichte auf die Entscheidung über
alle Verletzungen von Rechten ausgedehnt, gleich-
viel, ob es sich um bürgerliche oder politische
Rechte handelt, und ob die Verletzung durch eine
Privatperson oder eine Behörde erfolgt ist. In
neuester Zeit sind wieder zwei Administrativ-
behörden eingerichtet und ihnen Administrativ-
justizsachen zur Entscheidung in einem beson-
deren, in der Regel öffentlichen, mündlichen und
kontradiktorischen Verfahren zugewicsen worden,
die Provinzialverwaltungsjuntas, welche jedoch
zugleich reine Verwaltungssachen haben, und
eine besondere Abteilung des Staatsrats. Cster-
reich hat seit 1875 einen Verwaltungsgerichts-
hof als Verwaltungsgericht erster und letzter In-
stanz, zwar mit Zuständigkeit für jede Ver-
waltungsmaßregel, durch die jemand in seinen
subiektiven Rechten verletzt zu sein behauptet,
auf der anderen Scite aber nur so, daß der Ge-
richtshof auf Grund des in der letzten Ver-
waltungsinstanz angenommenen Tatbestandes
bloß über die Rechtsfrage zu befinden hat und