Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

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innerhalb der Verwaltung selbst durch Einfüh- 
rung besonderer gerichtsähnlicher Verwaltungs- 
behörden und eines dem gerichtlichen ähnlichen 
Verfahrens ausgeführten Gestaltung, deren 
Hauptvertreter Gneist war im Gegensatze zu 
Bähr, der durch Erweiterung der Zuständig- 
keit der bereits vorhandenen Gerichte und ein 
besonders geartetes Verfahren vor diesen Ab- 
hilfe schaffen wollte, ist aus dem im konstitutio- 
nellen Staate stärker als vordem empfundenen. 
Bedürfnisse nach Rechtsschutz gegenüber der Ver- 
waltung hervorgegangen. Daß es mit dem Ver- 
fahren in den Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit wenig gemein hat, liegt auf der 
Hand. Seine Verschiedenheit von dem Straf- 
verfahren ferner ist wenigstens nach deutschen 
Anschauungen trotz der Zuständigkeit der franz. 
Verwaltungsgerichte auch für Strafsachen (s. o. 1), 
ungeachtet seiner Ausdehnung auf Beamten-, 
Disziplinar= und Ordnungsstrafsachen und ob- 
wohl auch bei uns in neuerer Zeit dafür ein- 
getreten worden ist, den Verwaltungsgerichten 
die Bestrafung von Polizeidelikten zu übertragen 
(Verwaltungsstrafgerichtsbarkeit, vgl. Uüber- 
tretungen II), ebenfalls nicht zweifelhaft. 
Dagegen besteht Meinungsverschiedenheit dar- 
über, worin der begriffliche Unterschied zwischen. 
dem Verwaltungsstreitverfahren und dem Zivil- 
prozeß einerseits, andererseits dem sonstigen 
Verwaltungsverfahren einschließlich des Be- 
schlußverfahrens zu suchen ist, und wie sich 
grundsätzlich die Verwaltungsstreitsachen, die 
Zivilprozeßsachen und die Verwaltungssachen 
gegeneinander abgrenzen. Nicht oder doch nur 
in beschränkter Weise zutreffend ist es, wenn 
dabei das Wesen der Verwaltungsgerichtsbar- 
keit darin gefunden wird, daß durch sie lediglich 
die öffentliche Rechtsordnung auf dem Gebiete 
der Verwaltung verwirklicht werden solle, oder 
daß sie nur bestimmt sei, subiektive Verwaltungs- 
rechte (öffentliche Rechte) zu schützen, oder wenn 
entscheidendes Gewicht auf die Verschiedenheit 
von Ermessens= und Nichtermessens(Rechts)- 
sachen gelegt wird. Ebensowenig läßt sich auf 
den Unterschied zwischen öffentlichem und pri- 
vatem Rechte entscheidendes Gewicht legen, da, 
wie einerscits im Zivilprozeß mehrfach An- 
sprüche des öffentlichen Rechtes den Gegenstand 
der Entscheidung bilden und häufig zwecks Ent- 
scheidung der streitigen Ansprüche des Privat- 
rechts über Vorfragen des öffentlichen Rechtes 
zu befinden ist, so andererseits im V. öfter über 
Ansprüche des Privatrechts unmittelbar und 
sehr oft als über Inzidentpunkte zu befinden ist. 
Vielleicht ist es das richtigste, bloß die Zweck- 
mäßigkeit in der Weise maßgebend sein zu 
lassen, daß von dem sonst vor den Zivilrichter 
oder zur Verwaltung Gehörigen dem V. das 
zuzuweisen sei, wofür sich dieises nach seiner Art 
besser eigne als der Zivilprozeß oder das Ver- 
waltungsverfahren. Für die praktische An- 
wendung hat es anders als bei der Bestim- 
mung der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die 
im Zivilprozesse zu entscheiden sind (s. Ge- 
richtsbarkeit und Rechtsweg), wenig 
Wert, den Begriff der Verwaltungsstreitsachen 
festzustellen, weil immer nur das Verwaltungs- 
streitsache ist, was hierzu besonders durch Gesetz 
rode eine vom Gesetz ausdrücklich zugelassene 
  
Verwaltungsstreitverfahren. 
Vorschrift bestimmt worden ist, und damit zu- 
gleich der Zivilprozeß und das gewöhnliche 
Verwaltungsverfahren sowie das Beschlußver- 
fahren ausgeschlossen werden. Vgl. auch Justiz. 
III. Arten. Abgesehen von den Arten des 
V., die sich aus der Verschiedenheit der ent- 
sprechenden außerdeutschen und deutschen Ein- 
richtungen und innerhalb Deutschlands aus der 
abweichenden Gestaltung der einzelnen landes- 
gesetlichen V. ergeben, bestehen für die deut- 
schen Bundesstaaten, auch soweit sie keine eigene 
landesgesetzliche Verwaltungsgerichtsbarkeit ha- 
ben, doch noch verschiedene V., weil die in ihnen 
zur Anwendung kommenden reichsrechtlich ge- 
ordneten V. in ihrer Art wesentlich voneinander 
abweichen. Letzteres gilt trotz mancher Gleich- 
heiten oder doch Ahnlichkeiten nicht bloß für 
Einzelheiten, sondern auch für Grundsätze. We- 
gen des Näheren hierüber s. die Artikel über die 
unter I genannten Reichsverwaltungsgerichte und 
besonderen preußischen Verwaltungsgerichte. 
IV. Die allgemeine preuß. Verwal- 
tungsgerichtsbarkeit, zu der, wenn 
schon nicht unbestritten, doch auch das Be- 
schwerdeverfahren in den Staatssteuersachen und 
das Verfahren in Kicrchensteuer-Streitsachen 
trotz ihrer Besonderheiten gehören, ist sehr, wohl 
zu sehr der Zivilgerichtsbarkeit nachgebildet. 
Eine Anzahl von für den Zivilprozeß erlassenen 
Vorschriften ist teils schlechthin teils entsprechend 
als auch im V. anwendbar erklärt oder mehr 
oder weniger wörtlich wiederholt, und wegen 
der Kürze und Knappheit der maßgebenden Be- 
stimmungen im Landesverwaltungsgesetz ist zu 
deren Auslegung und zur Ausfüllung der vor- 
handenen Lücken ein Zurückgreifen auf das 
Zivilprozeßrecht vielfach nicht zu vermeiden. Die 
Verwaltungsgerichtsbarkeit wird in drei In- 
stanzen geübt. Von diesen ist die zweite eine 
Berufungsinstanz mit der Befugnis der Parteien 
zu neuen Anführungen jeder Art sowie mit 
nochmaliger Entscheidung der ganzen Streit- 
sache. Dagegen ist die dritte eine auf die recht- 
liche Nachprüfung beschränkte und nur nach Auf- 
hebung der Vorentscheidung bei Spruchreifheit 
eine Erledigung des Streites durch anderweitige 
Entscheidung ermöglichende Revisionsinstanz. 
Die drei Instanzen sind aber nicht in jeder 
Streitsache sämtlich, vielmehr ist mitunter sogar 
nur eine und vielfach sind bloß zwei, davon die 
zweite nicht selten auch nur als Revisionsin- 
stanz, eröffnet. Die Verwaltungsgerichte sind die 
Kreisausschüsse (Stadtausschüsse, Magistrate, kol- 
legialischen Gemeindevorstände, Amtsausschüsse), 
die Bezirksausschüsse, die Bergausschüsse und 
das Oberverwaltungsgericht (s. diese Artikel), 
deren Mitglieder, einschließlich der außer bei dem 
Oberverwaltungsgerichte mitwirkenden Laien, 
die Stellung von Richtern haben, auch der Aus- 
schließung und Ablehnung wie solche unter- 
liegen. Die sachliche Zuständigkeit der Ver- 
waltungsgerichte, für die der Satz, daß sie nur 
vorhanden ist, soweit sie besonders vorgeschrie- 
ben, noch ausdrücklich ausgesprochen worden ist 
(LVG. 8 7 Abs. 2, § 54 Abs. 2), ist namentlich 
im ZG., außerdem aber noch in zahlreichen 
anderen Gesetzen und auf Grund eines Gesetzes 
erlassenen kgl. Verordnungen geregelt. So be- 
ruht die der Verwaltungsgerichte für Streitig- 
 
	        
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