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innerhalb der Verwaltung selbst durch Einfüh-
rung besonderer gerichtsähnlicher Verwaltungs-
behörden und eines dem gerichtlichen ähnlichen
Verfahrens ausgeführten Gestaltung, deren
Hauptvertreter Gneist war im Gegensatze zu
Bähr, der durch Erweiterung der Zuständig-
keit der bereits vorhandenen Gerichte und ein
besonders geartetes Verfahren vor diesen Ab-
hilfe schaffen wollte, ist aus dem im konstitutio-
nellen Staate stärker als vordem empfundenen.
Bedürfnisse nach Rechtsschutz gegenüber der Ver-
waltung hervorgegangen. Daß es mit dem Ver-
fahren in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit wenig gemein hat, liegt auf der
Hand. Seine Verschiedenheit von dem Straf-
verfahren ferner ist wenigstens nach deutschen
Anschauungen trotz der Zuständigkeit der franz.
Verwaltungsgerichte auch für Strafsachen (s. o. 1),
ungeachtet seiner Ausdehnung auf Beamten-,
Disziplinar= und Ordnungsstrafsachen und ob-
wohl auch bei uns in neuerer Zeit dafür ein-
getreten worden ist, den Verwaltungsgerichten
die Bestrafung von Polizeidelikten zu übertragen
(Verwaltungsstrafgerichtsbarkeit, vgl. Uüber-
tretungen II), ebenfalls nicht zweifelhaft.
Dagegen besteht Meinungsverschiedenheit dar-
über, worin der begriffliche Unterschied zwischen.
dem Verwaltungsstreitverfahren und dem Zivil-
prozeß einerseits, andererseits dem sonstigen
Verwaltungsverfahren einschließlich des Be-
schlußverfahrens zu suchen ist, und wie sich
grundsätzlich die Verwaltungsstreitsachen, die
Zivilprozeßsachen und die Verwaltungssachen
gegeneinander abgrenzen. Nicht oder doch nur
in beschränkter Weise zutreffend ist es, wenn
dabei das Wesen der Verwaltungsgerichtsbar-
keit darin gefunden wird, daß durch sie lediglich
die öffentliche Rechtsordnung auf dem Gebiete
der Verwaltung verwirklicht werden solle, oder
daß sie nur bestimmt sei, subiektive Verwaltungs-
rechte (öffentliche Rechte) zu schützen, oder wenn
entscheidendes Gewicht auf die Verschiedenheit
von Ermessens= und Nichtermessens(Rechts)-
sachen gelegt wird. Ebensowenig läßt sich auf
den Unterschied zwischen öffentlichem und pri-
vatem Rechte entscheidendes Gewicht legen, da,
wie einerscits im Zivilprozeß mehrfach An-
sprüche des öffentlichen Rechtes den Gegenstand
der Entscheidung bilden und häufig zwecks Ent-
scheidung der streitigen Ansprüche des Privat-
rechts über Vorfragen des öffentlichen Rechtes
zu befinden ist, so andererseits im V. öfter über
Ansprüche des Privatrechts unmittelbar und
sehr oft als über Inzidentpunkte zu befinden ist.
Vielleicht ist es das richtigste, bloß die Zweck-
mäßigkeit in der Weise maßgebend sein zu
lassen, daß von dem sonst vor den Zivilrichter
oder zur Verwaltung Gehörigen dem V. das
zuzuweisen sei, wofür sich dieises nach seiner Art
besser eigne als der Zivilprozeß oder das Ver-
waltungsverfahren. Für die praktische An-
wendung hat es anders als bei der Bestim-
mung der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die
im Zivilprozesse zu entscheiden sind (s. Ge-
richtsbarkeit und Rechtsweg), wenig
Wert, den Begriff der Verwaltungsstreitsachen
festzustellen, weil immer nur das Verwaltungs-
streitsache ist, was hierzu besonders durch Gesetz
rode eine vom Gesetz ausdrücklich zugelassene
Verwaltungsstreitverfahren.
Vorschrift bestimmt worden ist, und damit zu-
gleich der Zivilprozeß und das gewöhnliche
Verwaltungsverfahren sowie das Beschlußver-
fahren ausgeschlossen werden. Vgl. auch Justiz.
III. Arten. Abgesehen von den Arten des
V., die sich aus der Verschiedenheit der ent-
sprechenden außerdeutschen und deutschen Ein-
richtungen und innerhalb Deutschlands aus der
abweichenden Gestaltung der einzelnen landes-
gesetlichen V. ergeben, bestehen für die deut-
schen Bundesstaaten, auch soweit sie keine eigene
landesgesetzliche Verwaltungsgerichtsbarkeit ha-
ben, doch noch verschiedene V., weil die in ihnen
zur Anwendung kommenden reichsrechtlich ge-
ordneten V. in ihrer Art wesentlich voneinander
abweichen. Letzteres gilt trotz mancher Gleich-
heiten oder doch Ahnlichkeiten nicht bloß für
Einzelheiten, sondern auch für Grundsätze. We-
gen des Näheren hierüber s. die Artikel über die
unter I genannten Reichsverwaltungsgerichte und
besonderen preußischen Verwaltungsgerichte.
IV. Die allgemeine preuß. Verwal-
tungsgerichtsbarkeit, zu der, wenn
schon nicht unbestritten, doch auch das Be-
schwerdeverfahren in den Staatssteuersachen und
das Verfahren in Kicrchensteuer-Streitsachen
trotz ihrer Besonderheiten gehören, ist sehr, wohl
zu sehr der Zivilgerichtsbarkeit nachgebildet.
Eine Anzahl von für den Zivilprozeß erlassenen
Vorschriften ist teils schlechthin teils entsprechend
als auch im V. anwendbar erklärt oder mehr
oder weniger wörtlich wiederholt, und wegen
der Kürze und Knappheit der maßgebenden Be-
stimmungen im Landesverwaltungsgesetz ist zu
deren Auslegung und zur Ausfüllung der vor-
handenen Lücken ein Zurückgreifen auf das
Zivilprozeßrecht vielfach nicht zu vermeiden. Die
Verwaltungsgerichtsbarkeit wird in drei In-
stanzen geübt. Von diesen ist die zweite eine
Berufungsinstanz mit der Befugnis der Parteien
zu neuen Anführungen jeder Art sowie mit
nochmaliger Entscheidung der ganzen Streit-
sache. Dagegen ist die dritte eine auf die recht-
liche Nachprüfung beschränkte und nur nach Auf-
hebung der Vorentscheidung bei Spruchreifheit
eine Erledigung des Streites durch anderweitige
Entscheidung ermöglichende Revisionsinstanz.
Die drei Instanzen sind aber nicht in jeder
Streitsache sämtlich, vielmehr ist mitunter sogar
nur eine und vielfach sind bloß zwei, davon die
zweite nicht selten auch nur als Revisionsin-
stanz, eröffnet. Die Verwaltungsgerichte sind die
Kreisausschüsse (Stadtausschüsse, Magistrate, kol-
legialischen Gemeindevorstände, Amtsausschüsse),
die Bezirksausschüsse, die Bergausschüsse und
das Oberverwaltungsgericht (s. diese Artikel),
deren Mitglieder, einschließlich der außer bei dem
Oberverwaltungsgerichte mitwirkenden Laien,
die Stellung von Richtern haben, auch der Aus-
schließung und Ablehnung wie solche unter-
liegen. Die sachliche Zuständigkeit der Ver-
waltungsgerichte, für die der Satz, daß sie nur
vorhanden ist, soweit sie besonders vorgeschrie-
ben, noch ausdrücklich ausgesprochen worden ist
(LVG. 8 7 Abs. 2, § 54 Abs. 2), ist namentlich
im ZG., außerdem aber noch in zahlreichen
anderen Gesetzen und auf Grund eines Gesetzes
erlassenen kgl. Verordnungen geregelt. So be-
ruht die der Verwaltungsgerichte für Streitig-