Verwaltungsstreitverfahren
keiten, welche nach reichsgesetzlicher Vorschrift
im V. zu entscheiden sind, auf dem G. vom
27. April 1885 (GS. 127) und den danach er-
gangenen kgl. Verordnungen, z. B. der vom
4. Febr. 1907 (GS. 27), die des Oberverwal-
tungsgerichts in Staatssteuersachen auf dem
EinkStG. vom 24. Juni 1890 (GS. 175) 8g8 44ff.
— in der jetzigen Fassung vom 19. Juni 1906
(GS. 260) 88 43 f. —, dem GewStG. von
demselben Tage (GS. 205) §§ 37, 38 und dem
Erg St G. vom 14. Juli 1893 (GS. 134) § 36 —
in der jetzigen Fassung vom 19. Juni 1906
(GS. 294) § 33 — und in Kirchensteuer-Streit-
sachen auf den Kirchensteuergesetzen von 1905
und 1906 und die der Berg A. auf dem G. vom
14. Juli 1905 (GS. 307) Art. 1 8 194 a. Vgl.
ferner aus neuerer Zeit etwa noch Art. VII
und XI des G. vom 18. Juni 1907 (GS. 119),
§ 6 Abs. 3 des Wanderarbeitsstättengesetzes
vom 29. Juni 1907 (GS. 205), die ein-
schlagenden Vorschriften des Kreis= und Pro-
vinzialabgabengesetzes vom 23. April 1906
(GS. 159), des Volksschulunterhaltungsgesetzes
vom 28. Juli 1906 (G. 335), der Jagdordnung
vom 15. Juli 1907 (GS. 207), der Wegeordnung
für die Prov. Westpreußen vom 27. Sept. 1905
(GS. 357), der Wegeordnung für die Prov.
Posen vom 15. Juli 1907 (GS. 243), §§ 6, 7
des Polizeikostengesetzes vom 3. Juni 1908 (GS.
149), §§ 2 Abs. 2, 15 des Ver G. vom 19. April
1908 (Röl. 151), Art. V § 192 a des G.,
betr. die Abänderung des Allg Berg G. vom
28. Juli 1909 (GS. 677). Grundsätzlich liegt da-
bei die sog. Enumerationsmethode zugrunde, d. h.
die Verwaltungsstreitsachen sind im einzelnen
als solche bezeichnet. Eine Abweichung hiervon
besteht besonders insofern, als ganz allgemein,
soweit das Gesetz nicht ausdrücklich anderes be-
stimmt, gegenüber allen polizeilichen Verfü-
gungen der Orts- und Kreispolizeibehörden so-
wie der Regierungspräsidenten das V. eröffnet
ist, wenn sie rechts= oder sachwidrig sind (LVG.
§§ 127 ff.). Die örtliche Zuständiakeit ist in den
88 57—59 LVG. geregelt. Das Verfahren hat
die Form eines kontradiktorischen Parteipro-
zesses mit wirklichen Parteien wie im Zivil-
prozesse, für welche wie in diesem die Begriffe
der Parteifähigkeit und der Prozeßfähigkeit in
Betracht kommen, erhalten. Wo nicht von selbst
zwei einander gegenüberstehende Parteien ge-
geben sind, wird die erforderliche Gegenpartei
künstlich als sog. Kommissar zur Wahrnehmung
des öffentlichen Interesses geschaffen. Außer
den Parteien gibt es noch beigeladene dritte
Personen, denen gegenüber die Entscheidung
ebenfalls gültig ist, und deren Hinzuziehung
wenn nicht allein, so doch wesentlich mit statt-
findet, um dem Bedürfnisse nach allseitiger Auf-
klärung einer Sache sowie nach deren einheit-
licher Entscheidung gegenüber einer Mehrheit
von Personen genügen zu können. Die Par-
teien, worunter hierbei auch der Beigeladene
zu verstehen ist, einschließlich der Behörden und
Beamten, die Parteien sind, können sich durch
Bevollmächtigte, namentlich Rechtsanwälte, ver-
treten lassen, ferner sich eines Beistandes be-
dienen. Sie haben dabei das Recht der freien
Auswahl mit der Beschränkung, daß das Gericht
Vertreter, welche, ohne Rechtsanwälte zu sein,
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die Vertretung vor dem Gerichte geschäfts-
mäßig betreiben, zurückweisen kann, welche An-
ordnung nicht anfechtbar ist (§ 73 Abs. 1 u. 2).
Die Bevollmächtigung muß durch eine Voll-
macht, die den Bestimmungen des BGB. für
eine solche genügt, nachgewiesen werden, und
zwar nicht dem Gegner, sondern dem Gerichte.
Der § 80 Abs. 2 8 PO. über die Beglaubigung
der Vollmacht gilt im V. nicht entsprechend.
Gemeindevorsteher, welche als solche legitimiert
sind, bedürfen jedoch zur Vertretung ihrer Ge-
meinden einer besonderen Vollmacht nicht (§ 73
Abs. 3), welche Bestimmung besonders für die
Fälle praktisch bedeutsam ist, in denen nach dem
bestehenden Gemeinderecht über den streitigen
Gegenstand nicht sowohl der Gemeindevorsteher
als solcher in Kraft seines Gemeindeamts, son-
dern die Gemeinde selbst durch die Gemeinde-
versammlung bzw., wo eine solche besteht, die Ge-
meindevertretung zu verfügen hat (O G. 6, 138;
55, 493). Sie sind auch ihrerseits befugt, allein
und ohne Beobachtung der sonst für Vollmachten
der Gemeinden geltenden Bestimmungen einen
anderen zur Wahrnehmung der ihnen obliegen-
den Vertretung der Gemeinde zu bevollmäch-
tigen. Anwaltszwang gilt niemals. Ebenso
sind die im Zivilprozesse für die sog. Prozeß-
agenten geltenden Besonderheiten (val. Per-
sönliches Erscheinen I1) unserem V.
noch unbekannt. Auch ein Armenrecht wie im
Zivilprozesse gibt es nicht. Desgleichen nicht
einen Parteibetrieb, sondern lediglich den sog.
Amtsbetrieb. In der Hauptsache ist das Ver-
fahren schriftlich; doch findet regelmäßig eine
mündliche öffentliche Verhandlung statt. Es
gilt dafür die Untersuchungs(Offizialhmaxime,
namentlich ist das Verwaltungsgericht befugt —
geeignetenfalls schon vor Anberaumung der
mündlichen Verhandlung — von Amts wegen
Untersuchungen an Ort und Stelle zu veran-
lassen, Zeugen und Sachverständige zu laden
und eidlich zu vernehmen, überhaupt den an-
getretenen oder nach dem Ermessen des Gerichts
erforderlichen Beweis im vollen Umfange zu
erheben (LV G. § 76). Die Untersuchungs-
maxime ist jedoch mehrfach zugunsten der Ver-
handlungsmaxime durchbrochen, besonders da-
durch, daß die Entscheidungen nur die zum Streit-
verfahren vorgeladenen Parteien und die darin
erhobenen Ansprüche betreffen dürfen (LVG.
§ 79 letzter Satz). Ebenso ist der Grundsatz der
Unmittelbarkeit eingeschränkt. Immer gilt, daß
die Parteien vor der Entscheidung ihrer Streit-
sache ein Recht darauf haben, zu hören und ge-
hört zu werden; dies erleidet bei den sog. Vor-
bescheiden (s. unten) nur scheinbar eine Aus-
nahme. Die Eventualmaxime ist nicht aner-
kannt. Dagegen gilt, von einzelnen besonderen
Vorschriften, welche die Verwaltungsgerichte an
anderweit getroffene Feststellungen binden, ab-
gesehen (vgl. Urteile 1), die Überzeugungs-
theorie, d. h. das Gericht hat nach seiner freien,
aus dem ganzen Inbegriffe der Verhandlungen
und Beweise — Zeugen, Sachverständige, Ur-
kunden, Augenschein, nicht jedoch Eid — ge-
schöpften Überzeugung zu entscheiden (§ 79 erster
Satz). Ein Versäumnisverfahren findet nur
insofern statt, als beim Ausbleiben der betref-
seenden Partei oder in Ermangelung einer Er-