Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

Wiedereinsetzung in 
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gemeine Recht hatten die in integrum restitutio, 
W. i. d. v. S., als ein sehr weitreichendes, ebenso 
auf dem Gebiete des materiellen Rechtes wie auf 
dem des Verfahrens gegebenes außerordentliches 
Hilfsmittel, um unter bestimmten Voraussetzun- 
gen (z. B. Minderjährigkeit, Abwesenheit) einen 
eingetretenen rechtlichen Nachteil zu beseitigen, 
insbesondere einer ungünstigen Willenserklärung 
ihre Wirkung zu nehmen oder einen verloren ge- 
gangenen Anspruch wiederherzustellen. Nachdem 
bereits das ALR. und die AGO. sie nur noch in 
wenigen Fällen zugelassen hatten, gibt es jetzt eine 
We.i. d. v. S. nur noch in sehr beschränkter Weise. 
II. Das BGB. (8 1996) kennt eine W. i. d. 
v. S. nur in der Weise, daß dem Erben, der durch 
höhere Gewalt verhindert worden ist, das In- 
ventar rechtzeitig zu errichten oder die nach den 
Umständen gerechtfertigte Verlängerung der 
Inventarfrist zu beantragen, oder der von der 
Zustellung des Beschlusses, durch den die In- 
ventarfrist bestimmt worden ist, ohne sein Ver- 
schulden Kenntnis nicht erlangt hat, auf Antrag 
vom Nachlaßgericht eine neue Inventarfrist zu 
bestimmen ist. Der Antrag muß binnen zwei Wo- 
chen nach der Beseitigung des Hindernisses und 
spätestens vor dem Ablauf eines Jahres nach dem 
Ende der zuerst bestimmten Frist gestellt werden. 
III. Die 8PO. (§8 233—238) läßt die W. 
i. d. v. S. bloß gegen den Ablauf einer Notfrist 
(präklusivischen Frist), also einer Frist, die weder 
vom Gerichte noch durch Parteivereinbarung ver- 
längert werden kann, auch durch die Gerichts- 
ferien nicht berührt wird, und deren Wahrung 
von Amts wegen zu prüfen ist, sowie der Re- 
visionsbegründungsfrist (G. vom 22. Mai 1910 
— RGBl. 767 — Art. III) nicht auch gegen 
die Versäumung eines Termins, zu, und zwar 
nur, wenn die Partei durch Naturereignisse oder 
andere unabwendbare Zufälle, d. i. nicht schon 
Mangel eines Verschuldens der Partei oder ihres 
Vertreters, sondern durch einen Umstand, den 
sie überhaupt nicht oder bloß mit ganz ungewöhn- 
lichen Mitteln abwenden konnte, verhindert war, 
eine Notfrist einzuhalten. Bei Versäumung der 
Einspruchsfrist ist jedoch, weil es bei Ersatzzustel- 
lung und bei öffentlicher Zustellung vorkommen 
kann, daß der Zustellungsadressat von ihr gar 
nichts erfährt, die W. i. d. v. S. auch schon dann 
zulässig, wenn die Partei oder ihr Vertreter ohne 
Verschulden von der Zustellung des Versäumnis- 
urteils keine Kenntnis erlangt hat; hier genügt 
mithin der bloße Mangel des Verschuldens. 
Außerdem ist die W. i. d. v. S. noch zugelassen: 
bei verspäteter Zustellung durch den Gerichtsvoll- 
  
zieher oder Gerichtsschreiber (§ 235 Abs. 1) und W 
früher noch bei unrichtiger Bezeichnung des Pro- 
zeßbevollmächtigten (§ 235 Abs. 2), welcher letz- 
tere Fall infolge der anderweitigen Regelung 
der Rechtsmitteleinlegung durch die Novelle vom 
1. Juni 1909 (RöaBl. 475) beseitigt worden ist. 
Stets muß die W. i. d. v. S. beantragt werden, 
und zwar in der Regel innerhalb einer zwei- 
wöchigen Frist und durch einen dem Gegner zu- 
zustellenden Schriftsatz, der die Angabe der sie 
begründenden Tatsachen und der Mittel zu ihrer 
Glaubhaftmachung, außerdem aber auch die Nach- 
holung der versäumten Prozeßhandlung oder, 
wenn sie bereits nachgeholt ist, die Bezugnahme 
hierauf, teilweise auch noch mehr enthalten muß. 
  
den vorigen Stand 
Über den Antrag hat dasjenige Gericht zu ent- 
scheiden, dem die Entscheidung über die nachge- 
holte Prozeßhandlung selbst zusteht. Auf die Ver- 
handlung und Entscheidung über die Zulässigkeit 
des Antrags sowie auf die Anfechtung der Ent- 
scheidung finden grundsätzlich die Vorschriften 
Anwendung, welche bezüglich der nachgeholten 
Prozeßhandlung gelten. Wegen der W. i. d. v. S. 
im Konkursverfahren s. § 165 K O. in der Fassung 
vom 17. Mai 1898 (RBl. 230). 
IV. Die St P O. erkennt einen Anspruch auf 
W. i. d. v. S. an gegen die Versäumung einer 
Frist, wenn der Antragsteller durch Naturereig- 
nisse oder andere unabwendbare Zufälle — wozu 
hier ganz allgemein gerechnet wird, wenn er von 
einer Zustellung ohne sein Verschulden keine 
Kenntnis erhalten hat, — an der Einhaltung der 
Frist verhindert worden war (88§ 44—47), und 
gegen das Urteil, welches nach einer Hauptver- 
handlung ohne Anwesenheit des Angeklagten er- 
gangen ist (s. Versäumnisurteile III), 
unter der gleichen Voraussetzung, außer wenn 
dieser auf seinen Antrag von der Verpflichtung 
zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ent- 
bunden worden war oder von der Befugnis, sich 
vertreten zu lassen, Gebrauch gemacht hatte (§23.), 
ferner in den besonderen Fällen der §§ 356, 370, 
382, 431, 452, 455, 461 St PO. Die M St G O. 
vom 1. Dez. 1898 (RüöBl. 1189) läßt in den 
§§ 147—150, 389 Abs. 2 eine W. i. d. v. S. 
gegen die Versäumung der für die Einlegung oder 
Rechtfertigung von Rechtsmitteln gesetzten Frist 
und eines Termins wegen Verhinderung durch 
militärischen Dienst, durch Naturereignisse oder 
andere unabwendbare Zufälle an der Einhal- 
tung der Frist zu, wobei es gleichfalls ganz all- 
gemein als unabwendbarer Zufall anzusehen ist, 
wenn der Antragsteller von einer Zustellung ohne 
sein Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. 
. Im Verfahren der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit ist die Wiedereinsetzung 
möglich für denjenigen, der ohne sein Verschulden 
verhindert war, die Frist zur Einlegung der so- 
fortigen Beschwerde oder die Einspruchsfrist im 
Registerstrafverfahren (FGG. 88 22, 137) ein- 
zuhalten, und für den bei einer Erbschaftsaus- 
einandersetzung Beteiligten, der ohne sein Ver- 
schulden verhindert war, die Anberaumung eines 
neuen Termins rechtzeitig zu beantragen oder in 
dem neuen Termine zu erscheinen (§8 92, 93 
Abs. 2, 96; Pr F.G. Art. 25). Hierbei ist Rechts- 
unkenntnis für einen erwachsenen, sonst nicht be- 
hinderten Menschen nicht als unverschuldet an- 
zusehen (KG J. 25 A 8). Ausgeschlossen ist die 
- i. d. v. S. bei der Annahme an Kindes Statt 
(FG. 8 68 Abs. 2). 
VI. Nach dem der 8 PO. und der St PO. fol- 
genden und sonach auf einem strengeren Stand- 
punkt als das FMG#. stehenden § 112 LVG. (vgl. 
auch § 52 Abs. 3 das.; unten VII) kann im Ver- 
waltungsstreitverfahren die W. i. d. 
v. S. beantragen, wer durch Naturereignisse oder 
andere unabwendbare Zufälle verhindert worden 
ist, die im LVG. oder die in sonstigen Gesetzen für 
die Anstellung der Klage bzw. für den Antrag 
auf mündliche Verhandlung im Verwaltungs- 
streitverfahren vorgeschriebenen Fristen einzu- 
halten. Unter diesen Fristen sind auch solche 
richterliche Fristen zu verstehen, die auf Grund 
 
	        
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