Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

124 Zweiter Teil: Organisation des Bundes. 
Im Falle der Schließung oder Auflösung gelten alle nicht er- 
ledigten Arbeiten als aufgehoben und sind bei der Eröffnung des nächsten 
Reichstags für den Fall, daß sie von diesem überhaupt wieder auf- 
genommen werden, wie neu angefallen zu behandeln (Gesch.-Ord. 8§ 70). 
Ausnahmen: Gesetz vom 23. Dezember 1874, S. 194. 
Im Falle der Auflösung des Reichstages müssen innerhalb eines 
Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler und innerhalb 
eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der Reichstag 
versammelt werden (Reichs-Verfassung Art. 25.) 
  
8. Kapitel. 
Die Zuständigkeit des Reichstages. 
I. Im Allgemeinen. 
Der Reichstag übt mit dem Bundesrat die Reichsgesetzgebung 
aus. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versamm- 
lungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend (Reichs- 
Verfassung Art. 5, Abs. 1; Sten. Bericht 18671, S 732). 
Der Volksvertretung ist diejenige Mitwirkung an der Verwirk- 
lichung der großen nationalen Aufgaben gesichert, welche dem Geiste 
der bestehenden Landesverfassungen und dem Bedürfnis der Regierungen 
entspricht, ihre Thätigkeit von dem Einverständnis des deutschen Volkes 
getragen zu sehen (Thronrede am 17. April 1867; Sten. Ber. 1867 1, S. 7330. 
. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reiches 
Gesetze (inklusive Verfassungsgesetze) vorzuschlagen und an ihn gerichtete 
Petitionen, d. h. Bitt= und Beschwerdeschriften und dergl. dem Bundesrate 
resp. Reichskanzler zu überweisen (Sten. Ber. 1867 I, S. 443; Sten. Ber. 
1867II, S. 176), nicht aber die Erledigung selbst herbeizuführen, z. B. 
Thatsachen durch Vernehmung von Zeugen, Sachverständige und sonstige 
Auskunftspersonen, oder mittelst von ihm beauftragter Kommissionen fest- 
stellen zu lassen. Auch steht ihm das Recht zu, Adressen an das Bundes- 
präsidium zu richten und die Regierung zu interpellieren (Reichs-Ver- 
fassung Art. 23, 78, Geschäfts-Ordnung § 67 und Sten. Ber. 1867, S. 443 f.). 
Der Reichstag prüft die Legitimation (Wahl) seiner Mitglieder 
(d. h. der gewählten, nicht auch des Gegenkandidaten) und entscheidet 
darüber (Sten. Ber. 1890, S. 317). Er regelt (in eigener Selbständigkeit) 
seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung 
und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer 
(Reichs-Verfassung Art. 27 und § 156 des Gesetzes vom 31. März 1873). 
Die für den Reichstag erforderlichen Beamten ernennt der Präsident. 
(Gesetz vom 31. März 1873 § 156, S. 90 und Geschäfts-Ordnung § 14 u. 16). 
Der Reichstag hat das Recht bei der Feststellung des jährlichen 
Reichshaushaltetats mitzuwirken, das sog. Budgetrecht, (Reichs-Verfassung 
 
	        
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