Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

VI. Abschnitt: Der Reichstag. 135 
Die von Mitgliedern des Reichstages gestellten Anträge kommen in 
der Reihenfolge zur Verhandlung, in welcher sie eingegangen sind. Alle 
Anträge, welche innerhalb der ersten 10 Tage einer Session eingegangen 
sind, gelten als gleichzeitig eingebracht. Ueber die Reihenfolge der Be- 
ratung gleichzeitig eingebrachter Anträge hat der Präsident sich mit dem 
Hause zu verständigen. Erfolgt eine Verständigung nicht, so entscheidet 
das durch den Präsidenten zu ziehende Los. Gesetzentwürfe behalten 
ihre Priorität bis zu ihrer Schlußberatung; die 2. und 3. Beratung 
hat mithin, soweit sie zur Verhandlung im Plenum vorbereitet ist, vor 
denjenigen Anträgen stattzufinden, welche in der Reihenfolge der 1. 
Beratung diesen Gesetzentwürfen nachgestanden haben. Die Petitionen 
gelangen in derjenigen Reihenfsolge zur Beratung, in welcher sie zur Ver- 
handlung im Plenum vorbereitet sind. Eine Entsernung von der Stelle 
der Tagesordnung, welche den von Mitgliedern des Reichstages gestellten 
Anträgen und den Petitionen nach der Priorität gebührt, kann nur be- 
schlossen werden, wenn nicht bei Anträgen von dem Antragsteller und bei 
Petitionen von 30 Mitgliedern widersprochen wird (Sten. Ber. 1895, S. 669 
und Beil.-Bd. I S. 644). 
b) Die Sitzungen des Reichstages. 
§s 36. Die Sitzungen des Reichstages sind öffentlich. Der Reichs- 
tag tritt auf den Antrag seines Präsidenten, oder von 10 Mitgliedern 
zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher dann zunächst über den 
Antrag auf Ausfschluß der Oeffentlichkeit zu beschließen ist. 
§ 37. Der Präsident eröffnet und schließt die Sitzung; er ver- 
kündet Tag und Stunde der nächsten Sitzung. 
c) Die Sitzungs-Protokolle. 
§ 38. Das Protokoll jeder Sitzung liegt während der nächsten 
Sibung zur Einsicht aus und wird, wenn dagegen bis zum Schluß der 
Sißung kein Einspruch erhoben ist, als genehmigt erachtet. 
§ 39. Das Protokoll muß enthalten: 
1. die gefaßten Beschlüsse in wörtlicher Anführung; 
2. die Interpellationen in wörtlicher Fassung, nebst der Bemerkung, ob 
sie beantwortet sind; 
3. die amtlichen Anzeigen des Präsidenten. 
§ 40. Wird gegen die Fassung des Protokolls Einspruch erhoben, 
welcher sich durch die Erklärung der darüber zu hörenden Schriftführer 
nicht heben läßt, so befragt der Präsident die Versammlung; im Fall der 
Einspruch für begründet erachtet wird, muß noch während der Sitzung 
eine neue Fassung der betreffenden Stelle vorgelegt werden (Sten. Bericht 
1874 I, S. 113). 
J 8 41. Das Protokoll wird von dem Präsidenten und 2 Schrift— 
führern vollzogen. Es wird dann mit den Anlagen im Verlag der Nordd. 
Allg. Zeitung in Berlin publiziert. 
d) Die Redeordnung. 
§ 42. Kein Mitglied darf sprechen, ohne vorher das Wort ver- 
langt und von dem Präsidenten erhalten zu haben. Will der Präsident 
sich an der Debatte beteiligen, so muß er den Vorsitz abtreten.
	        
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