Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

VI. Abschnitt: Der Reichstag. 141 
11. Kapitel. 
Die Freiheit der parlamentarischen Berichterstattung. 
Wahrheitsgetreue (wenn auch nicht gerade wörtliche, aber gut- 
gläubige) Berichte (inklusive erzählerische, schriftliche oder mündliche 
oder gedruckte Darstellungen) über Verhandlungen in den öffentlichen 
Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. 
(Reichs-Verfassung Art. 22, Strafgesetzbuch § 12.) Berichte über einzelne 
Stellen oder Bemerkungen hierüber sind nicht wahrheitsgetreue Berichte. 
(Siehe die Erkenntnisse des Reichsgerichts vom 5. November 1886, Bd. 15 S. 32 
und vom 6. November 1888, Bd. 18. S. 207). 
12. Kapitel. 
Die rechtliche Stellung der einzelnen Reichstags- 
mitglieder. 
I. Der berufliche Schutz. 
Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesamten 
Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. (Reichs- 
Verfassung Art. 29). Der diesem Grundsatz widersprechende Artikel 27 
Abs. 2 der Reichs-Verfassung ist nun durch Gesetz vom 24. Februar 
1873 S. 45 aufgehoben. Die Abgeordneten sprechen und stimmen 
bezw. äußern ihre Meinung ganz nach eigener Ueberzeugung. Es findet 
eine Vereidigung derselben nicht statt. 
Diese Berufsfreiheit ist in Neichsverfassung Art. 30 und Straf- 
gesetzbuch § 11 und 197 geschützt wie folgt: 
Art. 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer 
Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Be- 
ruses gethanen Aeußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder 
sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden. 
8 11. Kein Mitglied eines Landtages oder einer Kammer eines 
zum Bunde gehörigen Staats darf außerhalb der Versammlung, zu 
welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen 
der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerung zur Verant- 
wortung gezogen werden. 
§ 197. Eines Strafantrages bedarf es nicht, wenn eine Beleidigung 
gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundes- 
staats, oder gegen eine andere politische Körperschaft begangen worden 
ist. Dieselbe darf jedoch nur mit Ermächtigung der beleidigten Körper- 
schaft verfolgt werden. 
Die Abgeordneten genießen also absolute parlamentarische Rede- 
freiheit und sind daher absolut straf= und strafverfolgungsfrei, soweit 
sie beruflich handeln oder sich äußern, dagegen sind sie nicht von der 
Zeugnispflicht befreit. (Sten-Ber. 1879, S. 347.) 
Sie sind nur der Geschäftsordnung und der darin enthaltenen 
Disziplinarvorschriften unterworfen. (Reichs-Verfassung Art. 27).
	        
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