XXXVI. Abschnitt: Das Reichskriegswesen. 689
Nach aufgehobenem Belagerungszustande werden alle vom Kriegs-
gerichte erlassenen Urteile samt Belagstücken und dazu gehörenden Ver-
handlungen, sowie die noch schwebenden Untersuchungssachen an die
ordentlichen Gerichte abgegeben; diese haben in den von dem Kriegs-
gerichte noch nicht abgeurteilten Sachen nach den ordentlichen Straf-
gesetzen, und nur in den Fällen des § 9 nach den in diesem getroffenen
Strafbestimmungen zu erkennen. (& 15.)
Auch wenn der Belagerungszustand nicht erklärt ist, können im
Falle des Krieges oder Aufruhrs, bei dringender Gefahr für die öffent-
liche Sicherheit die Artikel 5, 6, 27, 28, 29, 30 und 36 der Ver-
fassungsurkunde oder einzelne derselben pom Staatsministerium zeit-
und distriktweise außer Kraft gesetzt werden. (6 16.)
Ueber die Erklärung des Belagerungszustandes, sowie über jede,
sei es neben derselben (§ 5) oder in dem Falle des § 16 erfolgte
Suspension auch nur eines der §§ 5 und 16 genannten Artikel der
Verfassungsurkunde muß den Kammern sofort, bezw. bei ihrem nächsten
Zusammentreten, Rechenschaft gegeben werden. (8 18.)
18. Kapitel.
Die Mobilmachung.
Ob zwar nach allgemeinem Sprachgebrauch Mobilmachung und
Kriegserklärung bezw. Kriegszustand als durchaus gleichbedeutend be-
zeichnet werden, ist doch dies tatsächlich nicht der Fall.
Die Mobilmachung hat nicht absolut die Kriegserklärung oder
einen Angriff von außen zur Voraussetzung, sondern es kann eine teil-
weise Mobilmachung erfolgen ohne Kriegserklärung. Dies kann z. B.
geschehen zum Schutz der Grenze, zur Durchführung medizinal= oder
veterinärpolizeilicher Maßregeln oder im Falle eines Ausbruchs von
gefährlichen Unruhen in einem Nachbarland.
Zu diesem Zweck ist der Kaiser berechtigt, die kriegsbereite Auf-
stellung eines jeden Teils des Reichsheeres anzuordnen, ohne daß er
hiezu irgendwelche Zustimmung bedürfte.
Zur bloßen Mobilmachung im Frieden, d. h. ohne Kriegserklärung,
darf aber nach § 1 des Gesetzes vom 11. November 1871 S. 403
der Reichskriegsschatz nicht verwendet werden, vielmehr ist der Kaiser
diesfalls behufs Bewilligung der erforderlichen Mittel, soweit das Or-
dinarium sie nicht gewährt, an die Einwilligung des Bundesrats und
des Reichstags gebunden.
Bezüglich Bayern s. oben S. 35 III. und Art. IV.
Bock, Staatsrecht. 44