68 Zweiter Teil: Organisation des Bundes.
des Bundesrates nicht adoptiert worden sind, ist der Bundesrats-Be-
vollmächtigte des betreffenden Bundesstaates berechtigt, im Reichstag
zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden,
um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten (Reichs-Verfassung Art.9,
Abs. 2, s. auch Reichs-Verfassung Art. 57, Abs. 1).
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der
Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden
Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu be-
handeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu
öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung
des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen
Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen,
auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben
gleich zu behandeln ist. (Reichs-Verfassung Art. 3, Abs. 1).
II. Die Vorrechte einzelner Bundesmitglieder.
In der Reichs-Verfassung wurden einigen Bundesstaaten bestimmte
Vorrechte eingeräumt, und zwar:
Preußen:
1. Wurde das Präsidium des Bundes dem König von Preußen
zugestanden, welcher den Namen „Deutscher Kaiser“ führt (Reichs-
Verfassung Art. 11). Die mit diesem Recht verbundenen persönlichen
und Regierungsrechte des Kaisers sind unten im Abschnitt V,
des Näheren erörtert.
2. Bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen, die Kriegsmarine
und die im Artikel 35 der Reichs-Verfassung bezeichneten Ab-
gaben giebt, wenn im Bundesrate Meinungsverschiedenheit statt-
findet, die Stimme des Präsidiums (Preußens) den Ausschlag,
wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Ein-
richtungen bezw. Vorschriften ausspricht (Reichs-Verfassung Art. 5,
Abs. 2 und Art. 37).
3. Bei der Abstimmung im Bundesrat hat Preußen im Falle der
Stimmengleichheit die entscheidende Stimme (Reichs-Verfassung
Art. 7, Abs. 3).
4. In jedem der Ausschüsse des Bundesrats ist Preußen vertreten
(Reichs-Versassung Art. 8).
Bayern:
1. Dieses führt nicht wie die Königreiche Sachsen und Württem-
berg nur vier, sondern sechs Stimmen im Bundesrat (Reichs-
Verfassung Art. 6).
2. Bayerns Vertreter hat im Bundesrat im Falle der Verhinderung
Preußens den Vorsitz (Schlußprotokoll mit Bayern IX).
3. In dem Bundesratsausschuß für das Landheer und die Festungen
hat Bayern einen ständigen Sitz (Reichs-Verfassung Art. 8, Abs. 2).
4. In dem Bundesrats-Ausschuß für die auswärtigen Angelegen-
heiten führt Bayern den Vorsitz (Reichs-Verfassung Art. 8, Abs. 3).