220 Thüringischer Erbfolgestreit.
Eventualbelehnung mit diesen Ländern und Allem, was Reichs-
lehen war, ausgesprochen. War schon ein Erbrecht der
Seitenverwandten auf die Reichslehen nicht sicher, so konnten
die Frauen ein solches überhaupt nicht in Anspruch nehmen.
Daß aber #eben der Hauptgegenstand des Streites die Land-
grasschaft Thüringen und nicht die Allode des Hauses der Lude-
winger waren, ergiebt sich daraus, daß einerseits Sophia und ihr
Sohn Heinrich noch lange den landgräflichen Titel von Thü-
ringen fortführten, anderseits Heinrich der Erlauchte auf die
Besitzungen in Hessen nie Ansprüche gemacht zu haben scheint.
Aber gesetzt auch, es hätte sich um das Recht der Erbfolge in
den Erbgütern gehandelt, so würde — da hier nur der Grad
der Verwandtschaft mit dem letzten Erblasser, also mit Heinrich
Raspe, den Ausschlag geben kann — Markgraf Heinrich als
Sohn der Stiefschwester, Sophien, als der Tochter des Stief-
bruders des Erblassers, nicht nach-, sondern gleichgestanden
haben, Heinrich das Kind aber, in dessen Namen Sophla An-
sprüche erhob, um einen Grad entfernter als Heinrich der Er-
lauchte gewesen sein. Trotzdem waren damals die Ansichten ge-
theilt, und namentlich bei den Chronisten erscheint Sophiens
Recht gewöhnlich als das bessere, theils weil sie irrigerweise die
Verwandtschaft von Ludwig dem Heiligen statt von seinem Bru-
der berechnen, besonders aber wohl, weil sie durch die Ver-
ehrung, welche die heilige Elisabeth genoß, in der Stimmung
waren, die Partei ihrer Tochter Sophia zu ergreifen. 1)
Außer Beiden machte noch Siegfried von Anhalt, der Stifter
der alten zerbster Linie und Herr von Dessau, Köthen, Kos-
1) So bei J. Rothe, S. 490, und ähnlich Gerstenbergers do-
ringer Chronik (verfaßt 1493), in Sechmin ke, Monum. Hass. II, 414:
„Da sprochin etzliche Fursten, der tochter soen were nehir zu dem Lande
dann der swester soen, darmidde wart frauwe Sophia getroist. So sprochin
etzliche: die Lande werin uß Kunnig Hinrichs munde gestorben, der eyn
Lantgrave gewest wäre, der erbete die Land mogelicher uff siner swester
soen, wan uff sins bruder tochter soen, darmidde wart Marggrave Hinrich
getroist u. s. w.“ Schade, daß nicht die ganze Stelle Platz finden kann,
sie verdiente es auch um der damaligen Verwandtschaftsbegriffe willen.
Halbbürtige Geschwister heißen: „eynhalb geswistere“. — S. Tittmann
a. a. O. II, 190.