Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

666 Krankreich. (Juli 6. 7.) 
gesetz von dem Staatshaushalt abzutrennen und diese Einkommen- 
steuer als Sondervorlage zu beraten, wird mit 207 gegen 70 Stimmen 
abgelehnt. 
Dieser Beschluß bedeutet, daß der Senat mit der Einfügung der 
Einkommensteuer in das Finanzgesetz einverstanden ist. Senator Ribot er- 
klärt, nach seiner Absicht schließe die Einbeziehung der Einkommensteuer in 
das Finanzgesetz die Prüfung durch die Kammer nicht aus. Die Finanzlage 
Frankreichs mache die Einbeziehung der Einkommensteuer in das Finanz- 
esetz notwendig. Der gegenwärtige Fehlbetrag überschreite 600 Millionen 
Fanten. Wenn der Einkommensteuergesetzentwurf nicht in das Finanz- 
gesetz ausgenommen werde, so werde er nicht im Jahre 1915 zur An- 
wendung gelangen. Ribot führt zum Schluß unter dem Beifall der Linken 
das Beispiel des Auslandes an und versichert, daß seine Meinung uneigen- 
nützig sei und auf reiflicher Ueberlegung beruhe. 
6. Juli. Die zur Ausgabe gelangende 800 Millionen-Anleihe 
wird etwa vierzigmal überzeichnet. 
6. Juli. Der neue Obmann des Heeresausschusses der Kammer, 
General Pédoya, äußert sich gegenüber einem Mitarbeiter der 
„Lanterne“ über das Dreijahrsgesetz. 
Er erklärt, der dreijährige Militärdienst übersteige weitaus die Hilfs- 
mittel und die Kräfte, über welche eine Nation von kaum 40 Millionen 
Einwohner verfüge. Italien, das 32 Millionen Einwohner habe, besitze 
eine Armee von rund 450000 Mann und Oesterreich-Ungarn mit seinen 
50 Millionen Einwohnern habe eine Armee von rund 550000 Mann. 
Die Kraftanstrengung, die man dem französischen Volk auferlegt habe, 
beraube die Landwirtschaft und die Industrie der notwendigen Arbeits- 
kräfte. Man müsse die nationale Verteidigung auf erusten Grundlagen 
ausgestalten, sich aber dabei von den hergebrachten und schädlichen 
Methoden fernhalten. 
7. Juli. (Kammer.) Der Kredit von 400000 Franken für 
die Reise des Präsidenten nach Rußland, Schweden, Norwegen 
und Dänemark wird mit 428 gegen 106 Stimmen bewilligt. 
Ministerpräsident Viviani äußert sich über das französisch-rusfische 
Bündnis. 
Jaures erklärt, daß die Sozialisten gegen den Kredit stimmen werden. 
Nicht als ob sie nicht Kundgebungen, die die Völker nähern und den Frieden 
sichern könnten, mit der lebhaftesten Sympathie begleiteten, nicht als ob sie 
den historischen Charakter des französisch-russischen Bündnisses, das Bebel 
als eine Folge der Annexion von Elsaß-Lothringen bezeichnet habe, ver- 
kennten. Aber man mißbrauche seit einiger Zeit solche Reisen. Außerdem 
könnten die Sozialisten nicht zulassen, daß Frankreich durch sie engagiert 
werde. Jaurs geht darauf die Geschichte der Geheimverträge durch, die 
auf der äußeren und inneren Politik Frankreichs lasteten, und fügt hinzu: 
Gerade in diesem Augenblick, wo wir vor der schwierigen orientalischen 
Frage stehen und die Bürgschaften nicht mehr besitzen, die uns die An- 
fänge des Parlamentarismus boten, die das heldenhafte russische Volk sich 
errungen hatte, ist die russische Volksvertretung verstümmelt. In demselben
	        
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