Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.) 31
reichs, muß ich sagen, ermutigen diese Verhandlungen schon. Welche ma-
terielle Macht hinter den Abgeordneten Windthorst und Richter steht, inwie-
weit das unsere Aktionen lähmt, darüber hat ein Franzose, namentlich in
der Provinz, ein sehr unvollständiges Urteil, und die Möglichkeit, daß der
Krieg entsteht, weil man uns unterschätzt, ist durch die Verschleppung der
Verhandlungen, die in anderen Parlamenten in 8 Tagen, in 3 Tagen, in
2 Stunden erledigt würden (oho! links), schon erheblich gesteigert. Wenn
wir jetzt die französischen Angriffsneigungen ermutigt haben, dann weise
ich den Herren, die uns so lange aufgehalten haben, schon einen erheblichen
Anteil an der Verantwortung für die Kalamität eines ausbrechenden Krieges
zu. (Bravo! rechts. Unruhe links und im Zentrum.)
Der Herr Abgeordnete hat ferner — er hat die finanzielle Frage
nur leicht gestreift — Bezug genommen auf die schwere Lage, in der wir
uns doch besonders hüten sollten. Zu deren Beleuchtung habe ich ein kleines
Material hier mit; das ist eine Statistik über die Situation der Sparkassen
in Preußen und über die Steigerung der Einlagen in den Sparkassen seit
1878, also seitdem die jetzige Gesetzgebung über den Schutz der inländischen
Arbeit in Geltung ist. Ich erlaube mir, Ihnen darüber einige Mitteilungen
zu machen, die Ihnen die Überzeugung geben werden, daß es so ganz schlecht
mit dem Fortgang unserer Wohlhabenheit doch nicht bestellt ist. Nur die
weniger Begüterten legen ihre Ersparnisse in den Sparkassen an, der Reichere
legt sie in Papieren an und möglichst in den fremdartigsten vom Orient
oder von Amerika, mancher auch in deutschen Konsols; bei der Sparkasse
ist er nicht beteiligt. Etwa 1200 Millionen Rubel sind bei uns in den
letzten Jahrzehnten in russischen Papieren investiert worden, diese und die
Summen, die in unzähligen Papieren, inländischen und ausländischen —
ich will keinen nennen, um niemanden zu ärgern — angelegt sind, sind ja
sehr viel größer als alle die Summen, die in den Sparkassen sich befinden.
In die Sparkassen legt im allgemeinen nur der Arbeiter und der bäuerliche
Besitzer, der Handwerker ein. Wenn Sie mir gestatten, Ihnen zu sagen,
wie diese Einlagen seit 1878 sich gesteigert haben, so werden sie zugeben,
daß ein Rückschritt und ein sehr brennender Notstand nicht vorhanden ist.
Im Jahre 1878 betrugen die gesamten Einlagen in den Sparkassen 1385
Millionen Mark im preußischen Staate. Wenn ich annehme, daß der preu-
ßische Staat sich zum deutschen Reich verhält wie 3:5 — ich weiß im Augen-
blick das Verhältnis nicht genau —, so können Sie sich die Verhältniszahlen,
wie sie für das deutsche Reich gelten, ungefähr ausrechnen; denn im ganzen
sind die Provinzen des preußischen Staates nicht unbedingt die wohlhabend-
sten im deutschen Reiche. Also die Einlagen betrugen zur Zeit, wo wir die
jetzige Gesetzgebung über den Schutz der deutschen Arbeit einführten, 1385
Millionen. Die Gesamteinlagen betragen heute 2261 Millionen Mark in
runder Summe, sie haben sich also seit der Zeit von 1878 gesteigert um
975 Millionen. Pro Kopf, jeden Säugling eingeschlossen, kamen an Spar-
kasseneinlagen im Jahre 1885 — bis dahin läuft meine Berechnung — in
runder Summe 80 Mark, das macht also, wenn man eine Familie durch-
schnittlich aus vier oder fünf Mitgliedern bestehen läßt, zirka 400 Mark
auf jede Familie; die hat sie zurückgelegt in der Zeit von sieben Jahren,
von 1878 bis 1885. Ich will daran weiter keine Bemerkung knüpfen, als
die Behauptung, daß die Angabe des Herrn Abgeordneten Windthorst über
die schwierige Lage eine Fiktion und eine unrichtige Angabe ist. Alle an-
deren Klassen, abgesehen von denen, die in die Sparkassen die Gewohnheit
haben einzulegen, den Arbeitern, kleinen Landwirten und Handwerkern, sind
in dem demselben Falle. Zu welchem Zwecke wird also die Fiktion immer
benutzt in der Presse und von den Gegnern der Regierung, als wenn Deutsch-