1622
464 Luthers Bibelllbersetzung.
der Einen und die Trauer der Andern über sein plötzliches
Verschwinden dauerte indeß nicht lange. Luther züchtigte nicht
nur von seiner Veste herab ritterlich seine theologischen Gegner
mit schwerer Feder, auch den Kurfürsten und den Kardinal
von Mainz, der zu Halle den Ablaß wieder sehr lebhaft in
Gang brachte (die Schrift wider den neuen Abgott zu Halle
hielt Spalatin sehr gegen Luthers Willen zurück), sondern
unternahm nun auch diejenige Arbeit, welche seiner Angelegen-
heit unbestritten den meisten Vorschub thun mußte, indem
dadurch das Volk selbst zum Richter seiner Sache gemacht
wurde, die Übersetzung des Neuen Testamentes, dessen Druck
sogleich nach seiner Rückkehr nach Wittenberg 1522 angefangen
und am 22. September beendet wurde. So erst wurde die
Bibel das Buch der Bücher und das Buch des deutschen Volkes.
Hierbei kam es Luther und seinem Werke sehr zu Statten, daß
er an der Sprache, wie sie sich in der sächsischen Kanzlei aus-
gebildet hatte, eine Schriftsprache vorfand, in welcher er sich
jedermann in Deutschland verständlich machen konnte. Durch
die Meisterschaft, mit welcher er sie handhabte, wurde sie zur
Grundlage der ganzen neuhochdeutschen Prosarede veredelt ½).
Wie fest aber schon die Idee der Reformation in den
Willen seiner Anhänger übergegangen war, beweist vor allem
1) „Ich habe keine sonderliche eigne Sprache im Deutschen“, sagt
Luther selbst in seinen Tischreden, „sondern brauche der gemeinen deutschen
Sprache, daß mich beide, Ober= und Niederlender, verstehen mögen. Ich
rede nach der Sechsischen Cautzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und
Könige in Deutschland. Alle Reichstedte, Fürstenhöfse schreiben nach der
Sechsischen und unsers Fürsten Cantzeley. Darumb ist's auch die ge-
meinste deutsche Sprache. Kaiser Maximilian und Churfürst Friederich,
Hertzog zu Sachsen, haben im Nömischen Reich die deutschen Sprachen
also in eine gewisse Sprache gezogen.“ Wenn Luther in diesen Worten
die Ehre, Schöpfer einer neuen Sprache zu sein, bestimmt ablehnt, so
stimmt damit überein, daß schon Hugo v. Trimberg in seinem Renner
(V. 22226), Anfang 14. Jahrhunderts, den Meißnern das Lob sorg-
fältiger Aussprache ertheilt und eine Priamel des 15. Jahrhunderts
(Wackernagel, Literaturgeschichte, S. 375) anführt: „In Mieißen
teutsche Sprach gar gut“. Aber schon 1531 neunt der Grammatiker
Fabian Frangk neben der kaiserlichen Kanzlei Luthers Schriften als Richt-
schnur der Sprache.