Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Zweiter Band: Von der Mitte des sechzehnten bis zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. (2)

Exorcismushändel. 103 
Geistlichleit und bei dem von ihr beherrschten niederen Vollke, 
dem jeder innere Drang nach einer Veränderung des einmal 
bestehenden Kirchenwesens abging, und das daher nur eine Ver- 
gewaltigung der Gewissen darin erblickte, auf den heftigsten 
Widerstand. Viele Geistliche wählten Absetzung und Vertrei- 
bung, andere unterschrieben gegen ihre Überzeugung, um nur 
ihr Brod zu behalten; die ganze Geistlichkeit der pirnaer Diöces 
that sogar zur Rettung des Exorcismus einen Fußfall vor dem 
Kurfürsten. Es wiederholten sich die Vorgänge von 1574 in 
entgegengesetzter Richtung, nur daß diesmal die große Masse 
offen für die Verfolgten Partei ergriff. Manche Leute ließen 
ihre Kinder lieber ungetauft. Ein dresdner Fleischhauer er- 
schien mit dem Beile in der Hand am Taufstein und drohte 
dem Geistlichen den Kopf zu spalten, wenn er sein Kind nicht 
mit dem Exorcismus taufe 1). Auch an anderen Orten kam 
es zu gewaltsamen Austritten, deren Ende und Resultat nicht 
abzusehen gewesen wäre, hätte nicht eben damals der Tod des 
erst 31 Jahre alten Kurfürsten, am 25. September 1591, 
eine plötzliche Wendung herbeigeführt. Daß das Gerücht von 
seiner Vergiftung aufkommen und Glauben finden konnte, ist 
nur ein Beweis, welche Höhe bereits die Erbitterung per Par- 
teien erreicht hatte ); in Wahrheit war es wohl der Hang 
zum Trunke, der des Kurfürste n schwächliche Gesundheit unter- 
graben und sein frühes Ende herbeigeführt hatte. Dasselbe 
vernichtete zum zweitenmale die Hoffnung der philippistischen 
oder, wie ihre Gegner sie nannten, kryptocalvinistischen Partei 
in Sachsen; zum zweitenmale sollte diese einer Reaction des 
orthodoxen Lutherthums erliegen, die au Gehässigkeit und Hin- 
wegsetzung über die Formen des Rechts ein würdiges Seiten- 
stück zu der von 1574 bildet. 
1) Über die Exorcismushändel s. Arnold, Unparteiische Kirchen- 
und Kcteerhistoric II (1729), S. 861. Thomasins, Annalen, S. 207. 
Richard, Der kurf. sächs. Kanzler Dr. Nic. Crell 1 (1859), S. 40 ff., 
eine trotz ihrer Actmäßigkeit ungenügende Arbeit. 
2) Hasche, Diplomat. Gesch. v. Dresden III, 32 u. 33. 
— 
1591
	        
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