Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

82 Verfassungsgeschichte. 3 
Neugestaltung der deutschen Verhältnisse teil. Ihre Selbständigkeit innerhalb des neugeschaffe- 
nen Deutschen Bundes wurde ohne größere Anfechtung anerkannt 1). Die Bundesakte des deut- 
schen Bundes führt die freien Städte „Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg“ als Mitglie- 
der des Bundes auf. In der folgenden Zeit friedlicher Weiterentwicklung war für Bremen von 
größter Bedeutung der auf Betreiben des Bürgermeisters Smidt i. J. 1827 mit Hannover ge- 
schlossene Vertrag, durch den Bremen ein Gebiet in der Nähe der Wesermündung, den Grund- 
stock des heutigen Bremerhaven, erwarb"). Bei Ausbruch der Streitigkeiten zwischen Oester- 
reich und Preußen i. J. 1866 stellten Lübeck und Bremen sich auf Seiten Preußens und vereinig- 
ten sich mit den anderen norddeutschen Staaten zu dem am 1. Juli 1867 ins Leben tretenden Nord- 
deutschen Bunde. Mit dessen Erweiterung zum Deutschen Reiche wurden sie Gliedstaaten des 
Reiches mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten. Die vielfachen Befürchtungen 
für ihre Selbständigkeit, die diese Entwicklung der Verhältnisse anfänglich in den Hansestädten 
erweckte s), haben sich nicht erfüllt. Im Reiche haben die Hansestädte den Schutz gefunden, dessen 
sie als kleine Staaten bedurften, um ihren besonderen wirtschaftlichen Aufgaben in staatlicher 
Unabhängigkeit nachgehen zu können. 
§ 2. Berfassungsgeschichte. Die Verfassungsgeschichte der Hansestädte zerfällt in 2 Perioden: 
1. die Periode der reichsstädtischen Verfassung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, 2. die Periode 
der Bildung und Weiterentwicklung der heutigen staatlichen Verfassung. Die letztere knüpft 
vielfach an an vorhandene reichsstädtische Institutionen; aber die alten Formen sind mit dem 
neuen Geist des Rechtsstaates erfüllt und dadurch in ihrem rechtlichen Wesen von Grund aus 
verändert 4). Das heutige Staatsrecht der Hansestädte ist eine Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts; 
die Rechtssätze sind viel mehr dem allgemeinen deutschen Staatsrecht zu entnehmen, als dem 
vielhundertjährigen reichsstädtischen Herkommen. Daher ist auch zum Verständnis der heutigen 
Verfassungen ein Zurückgehen auf die Anfänge und Einzelheiten der städtischen Entwicklung nicht 
erforderlich; es genügt, einen Ueberblick über die reichsstädtische Organisation, wie sie vor Ein- 
führung der Verfassungen bestand, und über die Entwicklung der letzteren zu geben. 
A. Diereichsstädtischen Berfassungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. 
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts standen die Hansestädte unter einer reichsstädtischen 
Ratsverfassung, wie sie sich ähnlich in zahlreichen Städten Norddeutschlands entwickelt hatte 5). 
Den Mittelpunkt der städtischen Organisation bildete der sich selbst ergänzende Rat. Die Kämpfe 
der Städte mit ihren geistlichen oder weltlichen Oberherren, ihre nach außen gerichtete Macht- 
politik in den Zeiten des Hansabundes hatten eine Konzentration der inneren Gewalt unter einem 
starken Ratsregiment erfordert. Gegen die Herrschaft der Kaufleute im Rat erhoben sich auch 
in den Hansestädten im 14. und 15. Jahrhundert demokratische Zunftbewegungen, die nach vor- 
übergehenden Erfolgen schließlich mit einem Siege des alten Regiments endeten, das dann in 
1) Alex. Müller in seiner Goethe gewidmeten „Einleitung zum Studium der Geschichte der 
4 freien Städte des deutschen Bundes“ (1825) führt dazu aus: Die Souveränität der Hansestädte 
war durch eine Gewalttat in ihrer Ausübung gehemmt, quieszierte und lebte im Moment der 
Befreiung wieder auf; im Gegensatz zu Frankfurt, das im Frieden dem Großherzog zugeteilt 
war und jetzt ausdrücklicher Anerkennung seiner Unabhängigkeit bedurfte. 
2) Ueber die Gründung Bremerhavens: W. v. Bippen in Joh. Smidt, Ein Gedenkbuch. 
1873, S. 193 ff. 
3) Eine Folge war u. a., daß man damals dem Problem einer Trennung von Staat und 
Stadt näher trat, um Schwierigkeiten, wie sie sich bei der Einverleibung Frankfurts ergeben hat- 
ten, vorzubeugen (unten § 40 II). 
4) v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl., S. 10, Anm. 1: „Mit der 
Neugründung der deutschen Staaten in diesem Jahrhundert sind, man darf sagen, alle staats- 
rechtlichen Begriffe verändert und in einen andern prinzipiellen Zusammenhang gebracht wor- 
den. Es ist eine große Täuschung, wenn man es ein historisches und daher rechtswissenschaftliches 
Verfahren nennt, die modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinungen des 
älteren Patrimonial= oder, wenn man lieber will, Feudalstaatsrechtes anzuknüpfen und als 
deren natürliche Fortsetzung zu behandeln.“ Jellinek, Der Kampf des alten mit dem neuen 
Recht in Ausgew. Schriften und Reden. 1911, Bd. 2, S. 416 ff. 
5) Im allgemeinen darüber: H. Preuß, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens. 
Bd. I: Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung. 1906. Ueber die Verfassungen 
der 3 Hansestädte am Ende dieser Periode: Villers, Constitutions des trois villes libres-anse- 
atigues. Wurm, Verfassungs-Skizzen der freien und Hansestädte Lübeck, Bremen und Ham- 
burg. 1841. 
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