Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

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Auch für die Gesetzgebung erfuhr die konstitutionelle Lehre 
zunächst nach der formellen Seite eine Umgestaltung. Nicht 
um einen besonderen Träger konnte es sich handeln, da alle Rechte 
der Staatsgewalt in der Person des Monarchen vereinigt blieben, 
sondern nur um besondere Formen der Ausübung des monarchischen 
Rechts. Die Gesetzgebung ist diejenige Staatsfunktion, die dem 
Monarchen zusteht in der Ausübung gebunden an die Zustimmung 
der Volksvertretung. 
Doch inhaltlich hielt man wenigstens zunächst an der konsti- 
tutionellen Lehre fest, indem man den Erlaß von Rechtssätzen in 
vollem Umfange, aber nur diesen als Gegenstand der Gesetzgebung 
betrachtete, so daß formelles und materielles Gesetz sich deckten. 
Hieran machten erst die Erfahrungen des preußischen Verfassungs- 
konfliktes stutzig, der sich wesentlich um die Bedeutung des Etats- 
gesetzes drehte. Es ergab sich, daß das Etatsgesetz nur ein Gesetz 
im formellen Sinne sei, aber keine Rechtssätze enthalte.') Bald ent- 
deckte man denn auch noch andere bloß formelle Gesetze. So war 
die Identität des formellen und materiellen Gesetzes nach der einen 
Seite durchbrochen. Doch daran, daß materielle Gesetze der Gesetzes- 
form bedürften, hielt man wenigstens noch fest. Erst in neuerer Zeit 
hat man sich von der Unrichtigkeit auch dieser Auffassung über- 
zeugt.“) 
Die Vermutung spricht für das freie monarchische Recht, 
die Beschränkung in dessen Ausübung bedarf der besonderen Be- 
gründung. Die deutschen Vll. überweisen nun der Gesetzgebung 
keineswegs den Erlaß aller Rechtsnormen. Insbesondere ist dies 
nicht aus Art. 62 der preußischen Vll. herauszulesen. Er besagt 
nur, wer die Faktoren der Gesetzgebung sind, und in welcher Weise 
  
  
*) Gneist, Budget und Gesetz, Berlin 1867; Laband, Das Budgetrecht 
nach der preußischen Vll., Berlin 1870; Gneist, Gesetz und Budget, Berlin 1878. 
**) Die neueste Erörterung der Streitfrage bei Anschütz, Die gegenwärtigen 
Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des könig- 
lichen Verordnungsrechts nach preußischem Staatsrecht, 2. Aufl., Tübingen und 
Leipzig 1901; Arndt, Das selbständige Verordnungsrecht, Berlin 1902. Anschütz 
gegen, Arndt für das selbständige Verordnungsrecht, daher Anschütz dafür, daß 
alle materiellen Gesetze der Gesetzesform bedürfen, Arndt dagegen. Arndt 
hat recht.
	        
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