Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

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tage genügt stets die absolute Mehrheit bei Anwesenheit der Mehr- 
heit der gesetzlichen Anzahl von Mitgliedern (RV. Art. 28). Da- 
gegen ist im Bundesrate vielfach eine verstärkte Mehrheit erforder- 
lich, nämlich bei a) Verfassungsänderungen, gegen die nicht 
14 Stimmen sein dürfen (RV. Art. 78), b) Anderung der Rechte 
einzelner Bundesstaaten im Verhältnisse zur Gesamtheit, insbeson- 
dere Reservatrechte, die nur mit der Zustimmung des berechtigten 
Bundesstaates erfolgen darf (RV. Art. 78), c) Gesetzentwürfen 
über Militärwesen, Kriegsmarine, Zölle und indirekte Verbrauchs- 
abgaben von Salz, Tabak, Branntwein, Bier und Rübenzucker, 
die nicht gegen den Willen Preußens angenommen werden dürfen 
(RV. Art. 5 Abs. 2). Bei Angelegenheiten, die nicht dem ganzen 
Reiche gemeinsam sind, stimmen nur die Bundesglieder im Bundes- 
rate, denen die Angelegenheit gemeinsam ist (RV. Art. 7 Absk. 4). 
Bei Versassungsänderungen und, wenn sie Preußen die Mehrheit 
oder den Stichentscheid bei Stimmengleichheit verschaffen würden, 
zählen die elsaß-lothringischen Stimmen nicht mit (RV. Art. 6a). 
Die Reichsverfassung besagt nun allerdings (Art. 5) von 
Bundesrat und Reichstag: „Die Übereinstimmung der Mehrheits- 
beschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze er- 
forderlich und ausreichend.“ Die Unrichtigkeit dieses Satzes ergibt 
sich aber schon aus dem Texte der Reichsverfassung selbst. Denn 
wenn eine vom Bundesrate angenommene Vorlage unverändert 
die Zustimmung des Reichstags gefunden haben sollte, so müßte 
doch der Bundesrat noch einmal beschließen und könnte, z. B. 
unter veränderten politischen Verhältnissen, die Vorlage ablehnen. 
Denn nach Art. 7 Nr. 1 RV. hat der Bundesrat zu beschließen 
über die vom Reichstage gefaßten Beschlüsse. Das erinnert offen- 
bar an die gleichartige Stellung des deutschen Landesherrn (ogl. 
§ 25), die die Folge davon ist, daß der Landesherr das Sanktions- 
recht hat. Die herrschende Ansicht zieht denn auch die entsprechende 
Folgerung und schreibt dem Bundesrate mit seinem zweiten Be- 
schlusse das Sanktionsrecht zu. Zwingend ist freilich diese Folge- 
rung nicht, da z. B. auch das preußische Herrenhaus über einen 
Finanzgesetzentwurf, zu dem es die Initiative ergriffen, nach dem 
Abgeordnetenhause noch einmal beschließen müßte.
	        
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