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Diese Kirchenpolitik wurde unhaltbar, als mit der Erwerbung.
Schlesiens und später Westpreußens zwei halbkatholische Provinzen.
hinzugekommen waren. Nunmehr vollzog sich der Umschwung der
einseitigen protestantischen Kirchenpolitik zum polizeistaatlichen.
Territorialsysteme.
Die Frage nach dem Rechtsgrunde des landesherrlichen Kirchen-
regiments hatten in Halle Thomasius und J. H. Böhmer unter
dem lebendigen Eindrucke der preußischen Kirchenpolitik dahin be-
antwortet, daß es sich dabei um die polizeiliche Aufgabe der Be-
wahrung des Friedens unter den einzelnen Konfessionen handle.
Geschichtlich wie staatsrechtlich gleich unhaltbar, bot doch das
Territorialsystem die Grundlage, nunmehr auch die katholische
Kirche unter dem gleichen Rechtstitel wie die protestantischen der
Herrschaft des Staates zu unterwerfen.
Das Territorialsystem erkennt die Einzelgemeinden wieder
als besondere, vom Staate verschiedene Rechtsgemeinschaften an,
leugnet jedoch auch für die katholische Kirche jede über die Einzel-
gemeinde hinausgehende Rechtsgemeinschaft. Die rechtlichen Ord-
nungen der Kirche gehen allein vom Staate aus oder müssen
wenigstens von ihm genehmigt sein. Von der einzelnen Pfarrei
an ist die kirchliche Verwaltung rein staatlich. Um dieses Ergebnis
auch gegenüber der katholischen, auf Glaubenssätzen beruhenden
Kirchenverfassung zu erreichen, erklärte man alle Geistlichen für
Staatsbeamte und damit auch die oberen kirchlichen Behörden für
Staatsbehörden.
Das Territorialsystem kam zuerst in der schlesischen und.
dann in der westpreußischen Verwaltungspraxis zum Ausdrucke.
Als dann aber ein einheitliches Staatskirchenrecht für den ganzen
Staat geschaffen werden sollte, kam auch dafür nur das Terri-
torialsystem in Betracht. Das ALR. II, 11: „Von den Rechten
und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften“ bildet.
seinen reinsten Ausdruck.
Erst als man gegen Ende des 18. Jahrhunderts und allge-
mein in der Stein-Hardenbergischen Zeit die letzten Folgerungen.
aus dem Territorialsysteme zog, kam seine innere Unwahrheit zum.
Ausdrucke. Die rein polizeistaatliche Aufgabe der Friedensbe-