Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

8168 Die freiwillige Gerichtsbarleit. 119 
nissen der Unsicherheit des Rechtes und der Möglichkeit der Störung 
und Verletzung vorzubeugent). Allein so schön dies klingen mag 
und so oft es auch wiederholt ist, so falsch ist es. Zunächst darf 
es doch wohl billig bezweifelt werden, ob durch Formvorschriften, 
welche beispielsweise den gerichtlichen Abschluß gewisser Rechts- 
geschäfte fordern, wirklich Streitigkeiten darüber vorgebeugt, und 
nicht vielmehr Oel ins Feuer gegossen wird. Bekanntlich dreht 
sich bei den meisten Testamentsprozessen der Rechtsstreit darum, ob 
bei Errichtung des Testaments alle wesentlichen Förmlichkeiten 
beobachtet, und welche Förmlichkeiten wesentlich sinds). Weiterhin 
schließt man aber Rechtseinrichtungen, die zweifellos der Vor- 
beugung von Prozessen dienen, wie das der Schiedsmänner und das 
schiedsrichterliche Verfahren, im Widerspruche mit der aufgestellten 
Begriffsbestimmung von der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus. 
Wohl lassen sich diejenigen richterlichen Akte, welche in das 
Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallen, in einigen Gruppen 
zusammenfassen, nach Hauptgesichtspunkten ordnen. Aber es wäre 
vollständig ein Ding der Unmöglichkeit, aus dem Inhalte aller 
dieser Akte eine sachliche Begriffsbestimmung der freiwilligen Ge- 
richtsbarkeit zu entwickeln. Die Tätigkeit des Richters bei Be- 
urkundung und Bestätigung gewisser Rechtsakte, bei Bevormundung 
Handlungsunfähiger, in Stiftungs-, Familienfideikommiß= und 
Lehnssachen, bei dem Nachlaßwesen, bei Grundbucheintragungen 
umfaßt dem Inhalte nach so verschiedenartige Zweige der staat- 
lichen Aufgaben, als man sich nur denken kann, in ihrem Inhalte ist 
irgendein allen gemeinsames Merkmal nicht zu finden. Wohl aber 
——. 
1) Seit Klüber ist diese Auffassung fast in jedes staatsrechtliche Lehr- 
odder Handbuch übergegangen, soweit darin die freiwillige Gerichtsbarkeit 
überhaupt erwähnt wird. Vgll. z. B. Klüber § 379; Zöpfl § 273 
N. 2; v. Rönne, Pr. StR. Bd. 4, S. 21; H. v. Schulze--Gaever- 
nitz, Pr. StR. Bd. 2 S. 83; Hue de Grais, Handbuch der Ver- 
fassung und Verwaltung in Preußen § 203; Pözl, Bayr. Verfassungs- 
recht (4. A.), München 1870, S. 421 u. a. 
2) So wurde z. B. gegen die Bestimmung im Entwurfe des Bürger- 
lichen Gesetzbuchs, daß Servituten nur durch Eintragung begründet werden 
lönnen, geltend gemacht, es werde sich hieraus eine Steigerung der Zahl 
der Prozesse ergeben. Vgl. Verhandl. des 19. deutschen Juristentages, 
Bd. 3, S. 120. Die Vorschriften des preußischen Rechtes über die Schrift- 
lichteit der Verträge veranlaßten eine Unzahl von Prozessen.
	        
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