Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

120 Das Verwaltungsrecht. 8 163 
ist allen gemeinsam, daß die Handhabung dieser Geschäfte den 
ordentlichen Gerichten in richterlicher Unabhängigkeit zusteht. Ge- 
wisse prozessualische Formen des Verfahrens, wenn auch der ganzen 
freiwilligen Gerichtsbarkeit eigentümlich, erscheinen dabei nicht aus- 
schlaggebend, da ähnliche Formen auch anderswo, z. B. bei der 
Beurkundung des Personenstandes vorkommen. Von Bedeutung 
sind in positiver Richtung allein das staatliche Organ der Tätigkeit, 
nämlich die ordentlichen Gerichte und die Art der Handhabung, 
nämlich die richterliche Unabhängigkeit, in negativer Beziehung, 
daß es sich um nicht streitige Sachen handelt. 
Die Richtigkeit dieser Ausführungen über das Wesen der frei- 
willigen Gerichtsbarkeit ergibt sich sogleich durch die Probe auf das 
Exempel. Würde man irgendeinen Zweig der inneren Verwaltung, 
z. V. das Personenstandswesen, wie dies früher hinsichtlich der 
Juden und Dissidenten der Fall war, den ordentlichen Gerichten 
zur Verwaltung in richterlicher Unabhängigkeit übertragen, so würde 
dieser Verwaltungszweig zur freiwilligen Gerichtsbarkeit werden. 
Entzieht man den Gerichten bei einem Zweige der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit die richterliche Unabhängigkeit, beläßt aber die be- 
treffenden Obliegenheiten den ordentlichen Gerichten, so wird die 
freiwillige Gerichtsbarkeit zur Justizuerwaltung, nimmt man da- 
gegen den betreffenden Verwaltungszweig den ordentlichen Gerichten 
überhaupt, so hört er ebenfalls auf, freiwillige Gerichtsbarkeit zu 
sein, und fällt in das große Gebiet der sogenannten inneren 
Verwaltung. Wo den Notaren eine gleichartige Tätigkeit mit den 
ordentlichen Gerichten eingeräumt wird, sind zwar die Obliegen? 
heiten des Gerichts und des Notars genau dieselben, aber eine 
freiwillige Gerichtsbarkeit ist es nicht, die den Notaren zusteht. 
Wie keinerlei sachliche Verschiedenheit zwischen der richterlichen 
und jeder sonstigen staatlichen Tätigkeit besteht, tritt gerade hier 
bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit am klarsten zutage. Der Be- 
schluß des Vormundschaftsgerichts auf Fürsorgeerziehung eines 
Kindes und der Beschluß der Polizei auf Ueberführung eines 
Bettlers oder Vagabunden in das Korrektionshaus, die Be- 
urkundung gewisser familienrechtlichen Verträge durch den Richter 
und die Beurkundung der Eheschließungen durch den Standes- 
beamten, die Fürsorge des Staates für hilflose Minderjährige durch 
deren Bevormundung und die Armenpflege und Arbeiterfürsorge,
	        
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