8214 Das Wesen des Etats. 607
schöpfende Erklärung über ihre nunmehrige Rechtsauffassung zu
Beben.
Soviel kann als unbestreitbar von vornherein festgestellt
werden, daß von einem sogenannten Ausgabebewilligungsrechte
der Volksvertretung oder gar bloß des Abgeordnetenhauses in
Preußen nicht die Rede sein kann. Art 99 der Verfassungs-
urkunde sagt mit klaren Worten, wie ein Etat zustandekommt,
nämlich durch Gesetz, also durch eine vom Könige mit Zustimmung
beider Häuser des Landtages zu erlassende Verordnung. Sollte
also wirklich der Etat die einzige rechtliche Grundlage der Staats-
ausgaben sein, so dürften diese Ausgaben gemacht werden, nicht
weil die Volksvertretung sie bewilligt hat, sondern weil ein Gesetz,
d. h. der König mit Zustimmung beider Häuser des Landtages,
die Ausgaben in den verfassungsmäigen Formen den Behörden
bewilligte.
Obgleich sich die Verfassungsurkunde über das Wesen des
Ausgabeetats nicht weiter ausläßt, hat man in ihm die rechtliche
Grundlage sämtlicher Staatsausgaben sehen wollen (v. Martit,
Zorn, Hänel). Hiernach enthielte der Etat Rechtsnormen über
die Ausgaben derart, daß jede nicht auf dem Etat beruhende
Ausgabe rechtswidrig wäre. Nehme man an, daß dies wirklich
geltendes Recht wäre, so würde man damit einen unlöslichen
Widerspruch in die Verfassungsurkunde hineintragen. Da die
Durchführung aller vom Staate erlassenen Gesetze fortdauernde
Ausgaben des Staates erforderlich macht, so ist die Wirksamkeit
ledes Gesetzes, mag es sich handeln um war es will, bedingt
durch das Vorhandensein der zu seiner Durchführung erforder-
lichen Mittel. Ein Gesetz kann nur verändert oder aufgehoben
werden durch den übereinstimmenden Willen des Königs oder
beider Häuser des Landtages, gleichwohl sollte aber jeder von den
dreien gegen den Widerspruch der beiden anderen durch Streichung
eines Ausgabepostens im Etat die Wirksamkeit des betreffenden
Gesetzes aufheben können. Die gesetzliche Rechtsordnung steht so
lange dauernd fest, bis König und Landtag durch übereinstimmen-
en Willen sie ändern, aber jedes Jahr könnte einer gegen den
Willen der beiden anderen sie ganz oder teilweise beseitigen.
Dieser unlösliche Widerspruch wäre vorhanden, wenn die Ver-
fassungsurkunde wirklich den Etat für die einzige rechtliche Grund-