614 Das Verwaltungsrecht. 8 215
zwei Richtungen unterscheiden. Nach der einen ist das Nicht-
zustandekommen des Etats so gut wie bedenutungslos. Die 90“
setzlichen Einnahmen werden forterhoben und die rechtlich oder
tatsächlich notwendigen Ausgaben weiter geleistet. Die Lage der
Regierung ist nur insofern schwieriger, als sic bei der Rechnungs-
kontrolle die Notwendigkeit jeder einzelnen Ausgabe nachzuweisen
hat. Diese von Gneist begründete und demnächst besonders von
Labandig) juristisch weiter ausgeführte Ansicht ist dann besonders
vertreten worden von H. Schulze, G. Meyer und Prazak, wobei
jedoch H. Schulze gegen Laband nachdrücklich hervorhebt, daß
es sich hierbei um kein regelmäßiges Verhältnis, sondern um
einen außerordentlichen Notstand handle. Eine zweite Richtung ver-
sucht die Lösung der Frage gar nicht, sondern erklärt, daß es
sich beim Nichtzustandekommen des Etats um eine politische Krisis
handle, deren Entscheidung über die Rechtswissenschaft hinaus-
gehe. Der Etat müsse unter allen Umständen zustande kommen,
geschehe dies aber nicht, dann sei eine Rechtswidrigkeit vorhanden,
die zu beseitigen die Rechtswissenschaft machtlos sei. Es wird
dies entweder ausdrücklich ausgesprochen, so von v. Martitz, Zorn,
Jellinek, Gierke:) oder stillschweigend, indem die Rechtsfolgen des
Nichtzustandekommens des Etats nicht erörtert werden, wie von
Hänel.
Auch die Praxis hat sich in Preußen schon früh der Behand-
lung der Frage zugewandt. Im Gegensatze zu der Ansicht, welche
in dem Nichtzustandekommen des Etats eine politische Krisis sieht,
die sich jeder juristischen Erörterung entzieht, war es in Preußen
während der stillen Reaktionszeit der fünfziger Jahre geradehm
die Regel, daß der Etat wenigstens nicht rechtzeitig zustande
kam. Für solche im Staatsleben alltägliche Fälle konnte es keine
Lücke in der Rechtsordnung geben. Schon bei Beratung der
Verfassungsurkunde hat man diesen Fall im Auge gehabt und
dagegen Vorsorge zu treffen versucht. Es wurde damals vot'
geschlagen, daß bei nicht rechtzeitigem Zustandekommen des Etats
59 Die von Laband in seinem Budgetrecht nach der preuß. All-
noch vertretene Ansicht, daß der vorjährige Etat sich sortsetzen werde, ist
von ihm in seinen späteren Schriften über das Budgetrecht stüllschweigend
sallen gelassen worden.
2) In Schmollers Jahrb. Bd. 7, S. 1119.