646 Das Verwaltungsrecht. 8219
Landesherren als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments
erlassenen Ordnungen von 1873 und 1876 der Ausbau der
Kirchenverfassung durch synodale Einrichtungen. Diese Ordnungen
wurden durch die staatliche Gesetzgebung anerkannt und gleich-
zeitig die Rechte des Staates gegenüber der evangelischen Landes-
kirche grundsätzlich festgestellt. Dagegen war die Vereinigung der
Landeskirchen der neuen Provinzen mit der evangelischen Landes-
kirche nicht gelungen. Wenn auch das landesherrliche Kirchen-
regiment auf den König überging, so blieben doch jene Landes-
kirchen, in denen mit Ausnahme der nassauischen die Union nicht
durchgeführt war, in ihrem rechtlichen Sonderbestande erhalten.
8 219. Der Staat und die Religionsgesellschaften überhaupt.
I. Die Befugnisse des Staates gegenüber den Religions=
gesellschaften führt man auch heute noch in der Literatur nach
alter Gewohnheit zurück auf drei Rechte. Vermöge des Jus refol-
mandi, welches ursprünglich nur das Recht der deutschen Landes-
herren, die Reformation einzuführen, seit dem Westfälischen Frieden
das Recht, innerhalb der reichsgesetzlichen Schranken über die
Zulassung der Bekenntnisse zu bestimmen, bedeutet, soll der Staat
berechtigt sein, anzuordnen, welche Bekenntnisse er in seinem Ge-
biete überhaupt zulassen, und unter welchen Bedingungen er ihre
Ausübung gestatten will. Das Jus supremae inspectionis untel-
wirft die innerhalb des Staatsgebietes bestehenden Religionsge“
meinschaften der staatlichen Aufsicht. Unter dem Jus advocatiaé=
dem Schutzrechte des Staates gegenüber den Kirchen, endlich faßt
man alle diejenigen staatlichen Rechte in Bezug auf die Religions“
gemeinschaften zusammen, die man weder unter dem Jus resol-
mandi noch unter dem Jus supremaec inspectionis unterbringen
kannt).
Diese scholastische Ueberlieferung, erwachsen aus oem deutschen
Staatskirchenrechte nach der Reformation, welches eine allum-
fjassende Staatsgewalt noch nicht kannte, sondern in der Landes-
hoheit nur ein Bündel einzelner Rechte und Pflichten sah, kann
für das heutige Recht nicht mehr beibehalten werden. Das Jus
resormandi hat mit der Einführung einer allgemeinen Glaubens-
1) Vgl. z. B. die bunte Zusammenwürfelung bei H. v. Schulze“
Gaevernitz, Pr. StR. BVd. 2, S. 488 ff.