Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

76 Das Verwaltungsrecht. 8158 
§ 158. Rechtsprechung und Instizverwaltung. 
Das ältere deutsche Recht kannte bereits eine der heutigen 
Unterscheidung zwischen Rechtsprechung und Instizverwaltung ent 
sprechende Verschiedenheit zwischen dem „Recht Weisen“ und dem 
„Gericht Halten“, zwischen Urteilen und Richten. Beide Unter 
scheidungen decken sich nicht, die Weisung des Rechts ist nicht 
etwa dasselbe wie die Rechtsprechung, das Gericht Halten ist nicht 
dasselbe wic die Justizverwaltung. Aber eine gewisse Aehulichkeit 
zwischen beiden Arten von Begriffen ist unstreitig vorhanden. An 
einer anderen Stelle wurde bereits auf den inneren Zusammenhang 
zwischen Volksrecht und Volksgericht in der älteren deutschen Eut 
wicklung hingewiesenn). Wie in der obrigkeitlichen Gewalt nicht 
die Befugnis enthalten ist, das Volksrecht einseitig abzuändern, 
so liegt es auch außerhalb ihrer Zuständigkeit, durch ihre An- 
ordnung allein das Volksrecht auf den einzelnen Fall anzuwenden. 
Das Recht für jeden Fall zu weisen, ist Aufgabe der Schöffen. 
Sämtliche tatsächliche Anordnungen, die vor, während oder nach 
dem Verfahren sich zur Vorbereitung oder zur Vollstreckung des 
gewiesenen Rechts als notwendig herausstellen, werden aber nicht 
von den Schöffen als Gesamtheit, sondern von dem Gerichts 
vorsitzenden, dem Richter, erlassen, der seinerseits mit der Urteils 
fällung nicht befaßt ist. 
Der Untergang dieser Schöffenverfassung ist besiegelt durch 
zwei Umstände, durch das Verschwimmen des Unterschiedes zwischen 
Volksrecht und Amtsrecht, zwischen Gesetz und Verordnung seit 
dem 15. Jahrhundert und durch die ungefähr gleichzeitig cintretende 
Umwälzung in der amtlichen Stellung der Schöffen. Wenn der 
Landesherr die bestehende Rechtsordnung durch einseitige Ver- 
ordnungen abändern konnte, so mußte er sie auch selbst oder durch 
seine Organe zur Anwendung bringen können. Seit Ende des 
15. und Anfang des 16. Jahrhunderts wird daher die Amts 
tätigleit von Richter und Schöffen verschoben. Der Richter nimmt 
an der Urteilsfällung, die Schöffen nehmen am Erlasse der im 
Lause des Prozesses erforderlichen tatsächlichen Anordnungen 
teile). Es verschwindet also jede wesentliche Verschiedenheit in der 
1) Vgl. 8§ 85, 137. 
2) Das Absterben der früheren Unterscheidung tritt am klarsten in 
den Eidesformeln der Karolina Art. 3 und 4 hervor. Der Nichter schwört
	        
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