Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

78 Das Verwaltungsrecht. 8 158 
Eine Folge des Gebundenseins der richterlichen Tätigkeit an 
prozessuale Formen war es, daß die vor die Gerichte gehörigen 
Angelegenheiten der streitigen oder freiwilligen Gerichtsbarkeit 
regelmäßig in dem prozessualen Instanzenzuge erledigt wurden. 
Die Einmischung des Landesherren oder nicht richterlicher Behörden 
in den regelmäßigen Gang der Justiz bildet daher die Ausnahme. 
Aber ausgeschlossen war sie durch die Notwendigkeit prozessualer 
Formen für die richterliche Tätigkeit keineswegs. Es bestand also 
mit einem Worte, auch soweit es sich um eine Gerichtsbarkeit 
handelte, keine richterliche Unabhängigkeit. 
Diese Tatsache macht sich auch abgesehen von der Kabinetts- 
justiz in den mannigfachsten Beziehungen geltend. So waren die 
Gerichte bei Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit dem Justizministerium 
insofern untergeordnet, als dessen Erlassen die Kraft einer authen- 
tischen Interpretation der Gesetze beigelegt wart). Außerdem erschien 
es an und für sich nicht ausgeschlossen, daß das Justizministerium 
sachliche Beschwerden über die Gerichte entschied oder sie mit be- 
sonderen Anweisungen über die Handhabung ihrer richterlichen 
Tätigkeit versah. Innerhalb des Verwaltungsorganismus ist nun 
die richterliche Unabhängigkeit in Preußen schrittweise, und zwar so 
gut wie ganz schon vor Erlaß der Verfassungsurkunde errungen 
worden. 
Für die Zivil= und freiwillige Gerichtsbarkeit bestimmte bereits 
die Kabinettsordre vom 6. September 18155°), daß die Gerichte bei 
ihren Entscheidungen durch Erkenntnis keiner anderen Vorschrift als 
der der Gesetze unterworfen sein, dagegen verpflichtet bleiben sollten, 
in allen Gegenständen der Justizpflege, die nicht zu Entscheidungen 
durch Urteil und Recht gehörten, den Anordnungen des Justiz- 
ministeriums nachzukommen. Abgesehen von dem verfassungsrecht- 
lichen Verhältnisse der Gerichte zum Könige war damit die richter- 
liche Unabhängigkeit wenigstens für die durch Erkenntnis zu 
4) Vgl. Reskript vom 6. Mai 1806 — N. C. C. XII, S. 663 — und 
vom 3. November 1810 — Mathis, Jur. Monatsschrift, Bd. 9, S. 511 
—, „daß die Reskripte des Justizministeriums als gesetzliche Erklärungen 
der Gesetze angesehen werden.“ Die Bedeutung der Bestimmungen ist 
übrigens nicht unbestritten, vgl. Koch, Preuß. Privatrecht Bd. 1 § 31; 
Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. 1 8 17 N. 3. 
5) GS. 1815, S. 198.
	        
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