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Allianz erwachten 1) Gedanken aufkommen zu lassen, als folt
ten die Zusammenkünfte der aachener Protokollmächte eine ver-
tragsmäßige Suprematie der Großmächte über Europa be-
gründen, dennoch ging deutlich aus den aachener Vereinba-
rungen hervor, Europa sollte nicht mehr wie früher eine
Gruppe locker zusammenhängender, nur durch wechselnde In-
teressen vorübergehend miteinander verbundener Staaten, son-
dern ein völkerrechtlicher Verein von Staaten auf Grund
bestimmter rechtlicher, beziehentlich religisser Anschauungen mit
bestimmten rechtlichen wie sittlichen Verpflichtungen seiner
Glieder und mit einem bestimmten, auf Wahrung dieser Ver-
pflichtungen gerichteten Organe sein. Die Heilige Allianz ver-
folgte sonach ursprünglich dasselbe Ziel wie die von Talley-
rand verkündigte Legitimitätstheorie, so verschieden auch
ihre Ausgangspunkte waren: die völkerrechtliche Sicherung
der europäischen Ordnung, so wie sie in den Wiener und Pa-
riser Verträgen festgestellt worden war, sollte die Aufgabe
beider sein.
Danach hätte die Heilige Allianz ihr Ziel als erreicht an-
sehen dürfen, nachdem ihr die große Mehrzahl der europäischen
Souveräne beigetreten war. ) Selbst England, obgleich der
Prinz-Regent die Unterzeichnung der Stiftungsurkunde unter
Berufung auf die nach der englischen Verfassung zweifellose
Unzulässigkeit eines vom Souverän persönlich ohne Zuziehung
eines Ministers abgeschlossenen Bündnisses abgelehnt hatte,
konnte anfänglich nicht zu den Gegnern der Heiligen Allianz
gerechnet werden: der Prinz-Regent hatte sich persönlich für
—. ——
1) Gervinus, a. a. O., I, 251.
2) Ueber die Accessionen der europäischen Regierungen val. Ch.
be Martens, Recueil manuel et pratique de traites, III, 202.