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Norweger, den heimischen Bauernstaat in das modische Ge-
wand des Constitutionalismus gekleidet 1) und sich dabei die
erste französische Verfassungsurkunde, freilich ohne deren demo-
kratische Uebertreibungen, zum Muster genommen.
Auch in Deutschland war der Wunsch nach Repräsen-
tatirverfassungen weit verbreitet und wurde sofort nach Na-
poleon's Sturze überall gehört. Nicht blos in den Ländern,
in welchen die französische Gesetzgebung und Verwaltung mit
den alten Verhältnissen auf das entschiedenste gebrochen und
trotz kläglicher Scheinconstitutionen eine vollständig unum-
schränkte Menarchie geschaffen hatte, sondern auch in dem-
jenigen Staate Deutschlands, dem die Geschichte nicht allein
die Pflicht auferlegte, sondern auch die Fähigkeit gab, sein
eigener Arzt zu sein, waren die Politiker von der Heilkraft
einer Repräsentativverfassung überzeugt. 2) Freilich standen
gerade in Preußen die Staatsmänner, welche die rege und
verfassungsmäßig sichergestellte Theilnahme des Volks an der
Berathung und Beschließung über die Landesinteressen befür-
worteten, nicht unter der Herrschaft der constitutionellen
Lehre, wie sie allerorten gepredigt wurde: auf dem festen
Unterbaue der selbständigen Gemeinde 3), des selbständigen
Kreises, der selbständigen Provinz /) sollte sich eine reichsstän-
dische Verfassung 5) erheben, die nicht die Vorzüge der Geburt),
wohl aber das sociale und politische Gewicht „der Eigen-
1) Constitution vom 4. Nov. 1814 (Rauch, Parlamentarisches
Taschenbuch, Lief. 1, S. 109 fg.).
2) Häusser, Deutsche Geschichte, 3. Aufl., III, 147.
") Pertz, Leben Stein's, II, 149, 153, 154.
“) Ebendas. I, 415; II, 38, 39.
5) Ebendas., II, 169, 518, 519, 571. Häusser, a. a. O., III, 147
—1490.
") Pertz, a. a. O., II, 165.