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thümer und zwar aller Klassen“ 1) anerkenne und zu rechtlicher
Geltung bringe. Hier wurde sogar mehrfach die Anlehnung
an die alten ständischen Körperschaften gesucht, die Lehre von
der Volkssouveränetät und der hierauf ruhenden Berechtigung
des Volks, sich selbst die Verfassung zu geben, weniger ver-
worfen, als vielmehr ignorirt. In Preußen allein war es
auch, wo man mit vollem Bewußtsein an die Quelle der con-
stitutionellen Lehre, an die englische Verfassung, zurückging?2)
und nicht in einem mit einer Volksvertretung verkleideten
Beamtenstaat, sondern in einem von dern kleinsten Verwal-
tungskreisen des Landes aufsteigenden Selfgovernment 5?) den
wahren Repräsentativstaat erblickte; auch nicht, wie in an-
dern Ländern, an die Herstellung eines abstracten, aller
Nationalität entkleideten Verfassungsideals dachte, sondern
durch die Selbstverwaltung in Gemeinde und Staat den
fehlenden Patriotismus zu erzeugen, den vorhandenen zu
stärken hoffte. Und darin ähnelte auch das übrige Deutsch-
land wenigstens theilweise dem preußischen Staate: nur ver-
hältnißmäßig wenige dachten hier an die Verwirklichung der
constitutionellen Musterbilder, welche die Französische Revo-
lution in der Theorie wie im Leben geschaffen; die Macht
der Souveräne, die alte Gliederung der Gesellschaft war
noch zu fest, um mit der Lehre von der Volkssouveränetät
1) Pertz, Leben Stein's, I, 424, 425.
:„) Vgl. Vincke, Darstellung der innern Verwaltung Großbritan-
niens. (Im Sommer des Jahres 1808 verfaßt und 1815 veröffentlicht.)
Pertz, a. a. O., II, 465.
2) Pertz, a. a. O., I, 415: „Die Nation muß daran gewöhnt wer-
den, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten und aus diesem Zustande der
Kindheit herauszutreten, worin eine immer unruhige, immer dienstfertige
Regierung die Menschen halten möchte.“
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