Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

BÜLOW-ODYSSEUS 185 
mir wie Odysseus vorkomme, der homerische Irrfahrer, der friedliche Ge- 
stade verlassen mußte, um sich zu stürmischer Fahrt auf dem weiten Meer 
einzuschiffen. Ich wisse wohl, wie viele Klippen und Untiefen die See habe, 
fände jedoch Mut in dem Entschluß, was auch immer kommen möge, an 
zwei Vorsätzen festzuhalten: einmal meine Pflicht und Schuldigkeit zu 
tun im Sinne des kategorischen Imperativs, auf dem der preußische Staat 
aufgebaut sei, andererseits aber nie die Gebote der Gerechtigkeit, Billigkeit 
und wahren Menschlichkeit zu vergessen. Wie ein Nachklang jener Abschieds- 
feier in Rom erschien mir ein Brief, den ich nach meinem Eintreffen in Berlin 
von dem größten damals lebenden deutschen Gelehrten, von Theodor 
Mommsen, erhielt, den ich mit meiner Frau zu seinem 80. Geburts- 
tag beglückwünscht hatte. Er schrieb: „Ew. Exzellenz haben im Verein mit 
Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin die Güte gehabt, sich eines alten Herrn 
freundlich zu erinnern, der das Glück gehabt hat, in sonnigeren Tagen 
Ihres Schutzes und Ihrer Gastfreundschaft sich zu erfreuen. Wenn jede 
Erinnerung an Rom für mich eine Freude ist, so gilt dies vor allem von die- 
sem Doppelgruß, und bewahre ich in treuem Gedächtnis die dort von Ihnen 
mir vergönnte Gemeinschaft. Genehmigen Ew. Exzellenz den Ausdruck 
meiner dankbaren Verehrung.“ 
Während mich in Deutschland Presse, Publikum und Parlament mit 
einer Mischung von Mißtrauen und Geringschätzung empfingen, hatten auf 
Grund einer ihr von einem „non German observer of high standing“ zu- 
gegangenen Zuschrift die „Times“ über mich geschrieben: „According to 
all probabilities Herr von Bülow will have before him the most successfull 
career of any German minister since Bismarck.“ 
Nach Berlin zurückgekehrt, suchte ich vor allem den russischen Bot- 
schafter auf. Graf Osten-Sacken begann nach der alten und nicht unge- 
schickten Praxis der russischen Diplomatie, immer von vornherein zu schel- 
ten und zu klagen, mit der Behauptung, daß unser Vorgehen in Ostasien 
in Rußland den allerschlechtesten Eindruck machen und dem stärksten 
Widerspruch begegnen würde. Ich erwiderte ihm, daß die russische Politik 
uns gegenüber jetzt an einem Wendepunkt stünde. „Vous vous trouvez 
devant une bifurcation.“ Wir könnten uns die ruchlose Ermordung deut- 
scher Missionare und gerade katholischer Missionare unmöglich gefallen 
lassen, nicht nur aus Gründen der deutschen inneren Politik und im Hin- 
blick auf Ehre und Ansehen des Reichs, sondern auch im Interesse aller 
mit China Handel treibenden Nationen und schließlich auch im Interesse 
Rußlands, das an China grenze. Schwierigkeiten, die uns Rußland auf 
diesem Gebiet und in diesem Augenblick mache, würden uns natürlich 
nach der anderen Seite, in die westliche Richtung treiben. Wenn ich mich 
in die Seele eines russischen Ministers des Äußeren hineindächte, so würde 
Unterredung 
mit 
Osten-Sacken
	        
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