LETZTES GESPRÄCH WILHELMS II. MIT BISMARCK 209
Gefolge dem Fürsten Bismarck einen Besuch in Friedrichsruh ab. In mehr
als zynischer Weise meinte Lucanus, dem ich während der Fahrt von Kiel
nach Friedrichsruh die Hoffnung aussprach, daß die Begegnung gut ver-
laufen möge: „Ach, der Kaiser will sich ja nur davon überzeugen, wie weit
der Altersbrand beim Fürsten vorgeschritten und wann dessen Tod zu
erwarten ist.‘‘ Nach Empfang der Nachricht von dem ihm bevorstehenden
kaiserlichen Besuch hatte Fürst Bismarck an den Kaiser das nachstehende
Telegramm gerichtet, das mich in seiner Einfachheit rührte: „‚Dankbar für
die hohe Ehre des kaiserlichen Besuchs, bitte ich Eure Majestät, die Mängel
in der äußeren Erscheinung, die meine Krankheit mit sich bringt, huldvoll
entschuldigen zu wollen.“ Wir fanden den Fürsten bei unserem Eintritt
in das bescheidene Friedrichsruher Haus in der Tat im Rollstuhl. Geistig
fand ich ihn unverändert. Der Kaiser saß neben der Gräfin Rantzau, der
einzigen Tochter des Fürsten, ich neben dieser, der Fürst uns gegenüber.
Er lenkte vom ersten Augenblick an die Unterredung, die er auf ernste
Gegenstände zu bringen sich bemühte. Der Kaiser wich mit einer mich
erbitternden Absichtlichkeit jedem politischen Thema aus und fing keinen
der Bälle auf, die ihm der greise Fürst in fast graziöser Weise hinwarf. Der
Fürst sprach von seiner Tätigkeit als preußischer Gesandter am Hofe des
Kaisers Napoleon III., 1862. Kaiser Napoleon, erzählte er mit seiner feinen,
leisen Stimme, habe „gnädiges Vertrauen“ zu ihm gehabt und ihn einmal
gefragt, wie er über Ministerverantwortlichkeit, persönliches Regiment,
die Vorzüge des einen oder anderen Regierungssystems denke. Er habe dem
Kaiser geantwortet, das persönliche Regiment habe manche Annehmlich-
keiten, lasse sich aber nur aufrechterhalten, solange der Monarch seiner
Garde sicher und diese völlig imstande ist, Ordnung und Gehorsam gegen-
über allen möglichen Zwischenfällen aufrechtzuerbalten. Wo eine solche
absolute Sicherheit nicht vorhanden wäre, empfehle es sich für die Krone,
die Minister als Matratze zwischen sich und jede Art von Opposition zu
schieben, damit sie etwaige Stöße auffingen und abschwächten. Der Kaiser
hörte nur zerstreut zu und erzählte seinerseits einige alte Kasernenwitze,
die seit vielen Jahren bei jedem Liebesmahl in Potsdam mit demselben
Gelächter begrüßt wurden. Auch während der Unterredung nach Tisch ver-
mied der Kaiser jeden intimeren Gedankenaustausch mit dem Fürsten
Bismarck. Als der Kaiser, verhältnismäßig früh, aufbrach, wurde der Roll-
stuhl des Fürsten in ein anderes Zimmer geschoben, damit wir uns alle ver-
abschieden konnten. Der Fürst drückte den meisten freundlich die Hand.
Als sich Lucanus vor ihm verneigte, sah er über ihn weg, als ob er Luft wäre.
Mir reichte er die Hand mit den Worten: „Gehen Sie mit Gott!“ Es war das
letztemal, daßich ihn sah und seine Stimme hörte.
Am 5. Januar 1898 veröffentlichte der „Reichsanzeiger‘‘ den Inhalt des
14 Billow I
Der Kaiser
in Friedrichs-
ruh