Ludwig
Bamberger
218 EIN STURMGESELLE
Blick und großer Gewissenhaftigkeit auch im kleinen länger als neun Jahre
als Unterstaatssekretär, später als Staatssekretär im Auswärtigen Amt,
zur Seite gestanden hat. Oswald Freiherr von Richthofen, Sobn eines Di-
plomaten, in einem Diplomatenhause aufgewachsen, von Jugend auf mit
ausländischen Verhältnissen wohlvertraut, fremder Sprachen mächtig,
verband mit Welterfahrung und Weltgewandtheit die traditionellen aus-
gezeichneten Eigenschaften des preußischen Beamten von gutem Schlage.
Er hatte sich seit jeher für wirtschaftliche Fragen interessiert und war
namentlich in die Handelsbeziehungen zwischen den großen handeltrei-
benden Völkern wie in die finanziellen Verhältnisse der Großmächte tiefer
eingedrungen als die meisten Angehörigen des auswärtigen Dienstes. Sein
Tod war für mich ein kaum zu ersetzender Verlust. Von einem Schlaganfall
getroffen, erlag er am 17. Januar 1906 dem Übermaß der Arbeit.
Als Herr von Richthofen im Herbst 1897 Unterstaatssekretär im Aus-
wärtigen Amt wurde, suchte ich für die Kolonialabteilung nach einem
Nachfolger. Ich wünschte einen Hanseaten und vor allem einen mit über-
seeischen Verhältnissen vertrauten Mann, wenn irgend möglich einen
Kaufmann. Aber alle Kaufleute, an die ich mich wandte, lehnten die Be-
rufung in eine amtliche Stellung ab. „Ich wäre ein Narr“, antwortete mir
ein trefflicher Hamburger Kaufmann, „wenn ich, statt an der Börse brav
zu verdienen und abends mit zwei schönen Füchsen auf mein Landhaus an
der Elbe hinauszufahren, mich in der Berliner Wilhelmstraße als Beamter
abrackern und im Reichstag auf den Mokierstuhl setzen wollte.“ Schließlich
entschieden wir uns für einen ausgezeichnten Juristen und tüchtigen Mann,
den konservativen Abgeordneten von Buchka, dessen Qualifikation für
die Kolonialabteilung Richthofen scherzend damit begründete, daß er
wenigstens an der See, nämlich in Rostock, zu Hause wäre.
Bald nach meiner Ernennung zum Staatssekretär war ich im Tiergarten
Ludwig Bamberger begegnet. Mainzer von Geburt, war er in seiner Jugend
ein Sturmgeselle gewesen, der am 17. September 1848 in Frankfurt a. M.,
am Tage vor dem Putsch, bei dem General von Auerswald und Fürst Felix
Lichnowsky ermordet wurden, das Volk in dammenden Worten aufgefordert
hatte, endlich „Fraktur“ zu reden. Er nahm später am Pfälzer Aufstand
teil, floh dann nach Frankreich und kam in Paris durch lukrative Bank-
geschäfte zu einem stattlichen Vermögen. Sein Bruder Heinrich, der ihm
nach Frankreich folgte, ließ sich dert naturalisieren, wurde Leiter der
Banque de Paris et des Pays-Bas und ganz Franzose. Beide Brüder Bam-
berger standen in verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem angesehenen
Brüsseler Bankhause Bischoflsheim und damit zu dem bekannten Türken-
Hirsch, einem der ersten ganz großen Millionäre. Ludwig Bamberger
kehrte nach Deutschland zurück, redigierte im Winter 1870/71 in Ver-