364 DER „DACHS“
Führung gemacht hatte. Während Caprivi sich als Zuschauer darauf
beschränkt hatte, in Abwesenheit Seiner Majestät zu bemerken, die Anlage
der Manöver durch den Großen Generalstab habe viele Febler ermöglicht,
der Kaiser habe sie aber auch glücklich alle bis auf den letzten begangen,
wäre es ihm, dem Chef des Stabes, nicht erspart geblieben, diese Fehler vor
einer größeren Korona Seiner Majestät vor Augen zu halten. Damit wäre
der Grund zur Ranküne des Kaisers gelegt worden, die zum vollen Aus-
bruch gekommen sei, als bei einem Kriegsspiel im Großen Generalstabs-
gebäude, an dem der Kaiser hatte teilnehmen wollen und wo er wiederum
wie auf dem Manöverterrain arge Schnitzer machte, die pflichtmäßige
Kritik dieser Fehler durch Waldersee zu einer Szene geführt habe. Unmittel-
bar nachher sei er von seinem Posten als Chef des Generalstabs der Armee
enthoben und nach Altona mit der Motivierung versetzt worden, es sei eine
große Auszeichnung für ihn, gerade in der Heimatprovinz Ihrer Majestät
der Kaiserin Kommandierender General zu werden. Mündlich habe ihm
der Kaiser bei seiner Abschiedsaudienz noch gesagt: im Kriege brauche er
überhaupt keinen Chef des Generalstabs, da er dann selbst führen und allein
alles entscheiden würde. „Im Kriege werde ich selbst Chef des Großen
Generalstabes sein. Im Frieden ist der Generalstabschef für mich nur ein
Amanuensis, und dafür sind Sie mir schon zu alt.‘ Lächelnd fügte Waldersee
hinzu, daß sein Nachfolger Schlieffen nur ein Jahr jünger sei als er. Der
Kaiser hat mir seinerseits nur gelegentlich gesagt, er habe nie ernstlich an
Waldersee als Reichskanzler gedacht, auch nicht als Prinz Wilhelm in der
Zeit seiner jugendlichen Schwärmerei für Waldersee und die Stöcker-
Versammlungen. Das habe sich der immer argwöhnische Bismarck fälsch-
lich eingebildet. Als Generalstabschef sei Waldersee immer wieder der
Versuchung erlegen, sich in Politik einzumischen. Er habe gegen Caprivi
intrigiert und namentlich in der Presse „gestänkert‘. Als Kommandierender
General in Altona berichtete Waldersee unter Hohenlohe an den Kaiser
im Sinne eines gewaltsamen Vorgehens gegen die Sozialdemokratie. Nach
meiner Ernennung zum Reichskanzler wurde er ein stiller Mann. Vorher
aber gelang es ihm, wenigstens vorübergehend, wieder die Gunst des
Kaisers zu erringen.
Graf Alfred Waldersee, der eine ungewöhnliche Geschicklichkeit in der
Behandlung von Fürstlichkeiten besaß und schon als junger Offizier, weil
er ein schlauer Dachs war, bei der Gardeartillerie, wo er eingetreten war,
den Spitznamen „der Dachs“ führte, wußte den Kaiser bei seiner empfäng-
lichsten Seite zu packen, bei seiner beinahe kindlichen Freude an äußeren
Ehrungen. Der Kaiser hatte durch direkte Einwirkung auf den österreichi-
schen Militärattach€ in Berlin erreicht, daß Kaiser Franz Josef ihn zum
österreichischen Feldmarschall ernannte. Sehr bald nachher kam Waldersee