Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

408 PARISER EINZUGSMARSCH UND MARSEILLAISE 
erklären, warum ich Wert darauf lege, daß wir in Petersburg durch einen 
Preußen vertreten werden. Obgleich die Pietätstraditionen von Königin 
Luise, Heiliger Allianz, Kaiserin Charlotte usw., welche 1866 und 70 noch 
schwer wogen, gründlich verwischt sind, so gibt es doch unlösbare Bande, 
welche Rußland an Preußen, nicht aber an das Reich fesseln, vor allem die 
Teilung Polens mit ihren endlosen Konsequenzen. Ich möchte unsere 
Beziehungen zu Rußland so sorgsam gepflegt sehen, daß wir selbst in dem 
schlimmsten Falle — Zerwürfnis im Reiche — ein preußisch-russisches 
Bündnis haben können, gleichviel auf wessen Kosten. Nach Kaiser Franz 
Josefs Abberufung wird es nur zwei wirkliche Monarchen geben. Zwischen 
ihnen muß ein fester Preuße stehen; ein plumper Schwabe, ein liberaler 
Badenser, ein katholischer Bayer würden solche Geschäfte nicht besorgen 
können. Darüber, daß ein Fachmann nach Petersburg gehört, bin ich ebenso 
wie 1892 nicht im Zweifel. Besonders erscheint es nicht ratsam, einen Gene- 
ral dorthin zu schicken: das, was früher so nützlich war, die häufige Begeg- 
nung mit dem Kaiser, ist weggefallen; eine Erscheinung wie Werder oder 
ich in Krasnoje Selö an der Tafel, wo Kaiser Alexander der Zweite in 
Gegenwart des Generals Chanzy mit mir auf St.-Privat anstieß und den 
Pariser Einzugsmarsch spielen ließ, wäre jetzt, wo die Marseillaise gespielt 
wird, ein gespensterhafter Anachronismus. Da wäre ein Admiral noch 
besser wie ein General. Das dritte meiner Postulate von 1892: vertrauen- 
erweckende Persönlichkeit, fällt jetzt weg; das Reich braucht in Petersburg 
einen Vertreter, der nicht bloß mit dem Grafen Murawiew fertig wird, was 
ja wohl nicht schwer sein dürfte, sondern der auch tanti ist, einem der 
merkwürdigsten Staatsmänner unserer Zeit, dem Herrn von Witte, gegen- 
über Stellung zu nehmen. Eine solche Kapazität würden Euer Exzellenz 
vielleicht unter mir nicht bekannten Persönlichkeiten finden, aber leider ist 
die gesellschaftliche Stellung des Botschafters oder des botschaftlichen 
Paares in St. Petersburg von solcher Wichtigkeit, daß sie meines Erachtens 
in erster Linie erwogen werden muß. Die große intellektuelle Arbeit, freilich 
nicht die mikroskopische Beobachtung, kann ja schließlich in der Villa an 
der Königgrätzer Straße besorgt werden; aber den kleinen ‚pannes‘ in der 
großen Morskoi ist von Berlin aus nicht vorzubeugen, und da weiß ich nun 
freilich kein anderes Ehepaar als das Pourtalössche. Ich sehne mich nach 
einem Stündchen Gesprächs mit Ihnen, aber ich konnte wegen Unwohl- 
seins nicht zum Ordenskapitel kommen und kann mich schwer zu einer 
Reise entschließen, wenn kein äußerer Anlaß vorliegt. Mit der Bitte, mich 
der Frau Gräfin zu empfehlen und Ihren Herrn Bruder Alfred zu grüßen, 
bin ich in treuer Anhänglichkeit Ihr aufrichtig ergebener von Schweinitz.“ 
Die Bemerkung dieses Briefes über Baron Ferdinand Stumm bezog sich 
auf dessen Zerwürfnis mit Holstein. Während der Ära Caprivi-Marschall
	        
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