Besuch in
Wien
624 DIE GLANZATTACKE
Das Terrain wurde monatelang vorher ausgesucht und instand gesetzt. Die
königlichen Leibpferde wurden auf diesem Terrain eingeritten. Nach
menschlicher Voraussicht mußte dann die Sache klappen. Für 1903 hatte
der Kaiser bei dem Manöver des 4. Armeekorps die Glanzattacke auf
jenes historische Schlachtfeld verlegt, wo General von Seydlitz, „Herr
Seydlitz auf dem Falben“, wie ihn in einem prächtigen Gedicht Theodor
Fontane nennt, mit dem Rufe „Vorwärts!“ und indem er vor der Front
seiner Kavallerie seine Tabakspfeife hoch in die Luft schleuderte, das
Zeichen zu einem der glänzendsten Reiterangrifle der Geschichte und einem
der schönsten preußischen Siege gab. Von diesem Schlachtfelde aus tele-
graphierte mir der Kaiser am 9. September 1903 über seine Attacke: „Die
Attacke endigte bei Roßbach.‘ Ich hatte 60 Schwadronen hinter mir, wäh-
rend Seydlitz seinen Erfolg mit nur 35 Schwadronen erkämpfte! Ich höre,
daß der Eindruck ein sehr tiefer gewesen ist.“ Die letztere Wendung sollte
mich beruhigen. Der Kaiser wußte, daß ich mich grundsätzlich nicht in
militärische Angelegenheiten einmischte, aber seine militärischen Spiele-
reien und namentlich den Unfug, der mit den Manövern getrieben wurde,
nicht gern sah. Ich verhehlte dies auch dem Chef des Generalstabes nicht,
dem genialen Grafen Alfred Schlieffen. Er beurteilte an und für sich die
Sache ganz wie ich und wie alle verständigen Leute, stand aber auf dem
Standpunkt, daß, wenn ihm der Kaiser im übrigen nur freie Hand lasse,
namentlich in artilleristischen Fragen, der „Manöverunsinn“ nicht viel zu
bedeuten habe. Die Truppe wäre zu sehr in der Hand ihrer Führer und die
Führer zu gut ausgebildet, als daß solche falschen Gefechtsbilder großen
Schaden anrichten könnten.
An die Manöver schloß sich ein Besuch in Wien. Ich erwartete in
Wiener-Neustadt den Kaiser, der bis dahin auf den ungarischen Gütern des
Erzherzogs Friedrich geweilt hatte, wo er unter den Jort für ihn sorgsam
aufgesparten Hirschen ein furchtbares Massaker anrichtete. Erzherzog
Friedrich war mit einer Prinzeß Croy vermäblt, die aus einem mediati-
sierten, also an sich ebenbürtigen, aber nicht souveränen Hause stammte.
Um so mehr lag ihr daran, daß ihre Töchter große Partien machten. Sie
hatte ihr Augenmerk begreiflicherweise in erster Linie auf den präsumtiven
Thronerben, den Erzherzog Franz Ferdinand, gerichtet und war nicht
wenig erfreut, als dieser häufig zu Besuch in ihrem Hause erschien. Sie war
überzeugt, daß diese Besuche ihren hübschen Töchtern gälten. Uni so pein-
licher war die Überraschung, als sie plötzlich am Handgelenk ihrer Holdame,
der Gräfin Sophie Chotek, ein goldenes Armband mit dem Medaillonbild des
Thronfolgers entdeckte. Es folgte eine Szene, die mit der brüsken Entlassung
der Hofdame endigte. Es ist allgemein bekannt, daß der Erzherzog, was
seinem Herzen zur Ehre gereicht, treu zu dem von ihm geliebten Mädchen