Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

84 DELCASSE 
Eduard VII. beständig in den Ohren lag, er möge ihm erlauben, bevor es 
zu epät würde, die deutsche Flotte zu „kopenhagenen“, das heißt ohne 
Kriegsansage zu überfallen und zu vernichten, England nur gegen uns 
vorgehen würde, wenn und nachdem wir mit Rußland in Krieg geraten 
wären. Schon darum mußten wir, der Bismarckschen Mahnungen und 
Warnungen eingedenk, mit Rußland Frieden balten. Das erschien möglich, 
wenn wir Rußland nicht an den Dardanellen entgegentraten und in unseren 
östlichen Provinzen der großpolnischen Propaganda keine Zugeständnisse 
machten. Wir durften natürlich Oesterreich nicht zertrümmern lassen. Wir 
durften aber die antirussischen Tendenzen und Pläne aufgeregter öster- 
reichischer Generäle und traditionell unfähiger Wiener Diplomaten wie der 
allzu hitzigen Magyaren nicht bis an die Grenze heranlassen, wo der Krieg 
zwischen Oesterreich und dem slawischen und orthodoxen Rußland unver- 
meidlich wurde. 
Bedenklich war auf dem europäischen Schachbrett eine Figur, und das 
war der französische Minister des Äußern, Delcass&, König Eduard war 
nicht der Maon, uns plötzlich zu überfallen, wie manche Jingoes mit und 
ohne Marineuniform dies wollten. Auf meinen Neujahrsglückwunsch hatte 
er mir erwidert: „The Queen and I thank you for your good wishes and trust 
that the new year may bring peace and prosperity to the world at large. 
Eduard R.“ Eine andere Frage war, ob der König ein französisches Vor- 
gehen gegen uns nicht ganz gern sehen würde. Delcasse manövrierte nach 
dem berüchtigten Wort, das vor Olmütz dem Fürsten Felix Schwarzen- 
berg in den Mund gelegt wurde: „Il faut avilir la Prusse et puis la demolir.“ 
Delcasse wollte zunächst einmal unserem Ansehen in der Welt einen tüch- 
tigen Stoß versetzen, das Weitere werde sich dann schon finden. Daß Ruß- 
land momentan mit dem japanischen Krieg beschäftigt war, störte Delcasse 
nicht. Er hatte, wie damals die ganze Welt, eine ungeheure Meinung von 
den unbegrenzten Machtmitteln des unermeßlichen russischen Reichs mit 
seinen 130 Millionen Einwohnern. Er glaubte auch, daß sich im Falle eines 
deutsch-französischen Krieges der Friede zwischen Rußland und Japan 
unter englischer Ägide rasch herstellen lassen würde. Bismarck pflegte 
zu sagen, daB er, im Gegensatz zu dem bekannten englischen Spruch: 
„Measures not men“, der Ansicht wäre, es käme mehr auf die Männer an, 
die eine Maßregel durchzuführen hätten, als auf die Maßnahme selbst. 
Er hat auch das von ihm in das Goldene Buch des Germanischen Museums 
zu Nürnberg eingetragene tiefe Wort: „Unda fert nec regitur“ selbst 
dahin definiert, daß Gang und Stärke der Welle von der Vorsehung 
bestimmt würden, daß aber die Fähigkeit, sich von der Welle tragen zu 
lassen, von Kraft und Geschick des Schwimmers abhinge. Längeres 
Zuwarten gegenüber den bösen Absichten wie den Intrigen des franzö-
	        
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