DER MONARCHISCHE REITER 85
sischen Ministers des Äußern erschien bedenklich, seine Beseitigung ohne
Krieg erstrebenswert.
Im Mittelpunkt meiner inner- und außenpolitischen Sorgen stand nach
wie vor die Persönlichkeit des Kaisers. Bismarck hatte mit vollem Bewußt-
sein den König zum Träger des preußischen und damit des deutschen
Staatswesens gemacht. Nach seinem Rücktritt hat Bismarck mehr als
einmal geäußert, er habe dem monarchischen Reiter wieder in den Sattel
geholfen, aber zu sehr. „Troppo mi ha aiutato Sant’ Antonio“, meint der
neapolitanische Schiffer, wenn der heilige Antonius, den er um Wind ge-
beten hat, ihm einen Sturm schickt. Schon lange vor dem Schicksals- und
Unheilsjahr 1890 hatte mein Vater, ein kirchlich gläubiger, politisch kon-
servativer und ganz monarchisch gerichteter Mann, dem Fürsten Bismarck
mehr als einmal gesagt, er habe das Schwergewicht des Staatswesens, Wohl
und Wehe des Reichs zu sehr mit der Person des Monarchen verknüpft.
Bismarck hat sich über diesen Punkt meinem Vater gegenüber, der einer
der wenigen war, von denen er Ratschläge annahm, offen ausgesprochen.
Er erwiderte meinem Vater auf dessen Bemerkung, für das Staatsganze
wie für des Fürsten eigene Stellung würde es nützlich sein, der Volksver-
tretung einen größeren Einfluß einzuräumen, statt sich ganz auf den Thron
einzustellen: „An und für eich haben Sie wohl recht, aber niemand kann
über seinen Schatten springen. Ich bin nun einmal in erster Linie Royalist,
alles andere kommt hinterher. Ich schimpfe auf den König, ich kann mir
auch denken, daß man als Junker gegen den König rebelliert, ich nehme
den König in meiner Weise, ich beeinflusse, ich ‚behandle*, ich leite ihn,
aber er ist mir der Mittelpunkt meines Denkens und Handelns, der Punkt
des Archimedes, von dem aus ich die Welt bewege.“ Wie nun einmal
Bismarck das Deutsche Reich erbaut und eingerichtet hatte, war für die
äußere wie für die innere Politik die Individualität des Königs von Preußen
und Deutschen Kaisers von der allerentscheidendsten Bedeutung. Darüber
war sich Bismarck selbst nie im Zweifel. Nach dem Nobiling-Attentat 1878
sagte er in meiner Gegenwart zu seinem Sohn Herbert, der trübe Betrach-
tungen über die Zukunft angestellt hatte: „Um das deutsche Volk ist mir
nicht bange, der Klumpen ist zu groß, als daß er ganz zerrieben werden
könnte. Die einzelnen Teile werden sich wohl immer wieder in irgendeiner
Weise zusammenfinden. Aber die Hohenzollern könnten allerdings kopf-
über gehen, wenn sie die Eigenschaften verlieren sollten, die unser alter
Herr besitzt, den nüchternen, hausbackenen Menschenverstand, die auf
ein ruhiges und gutes Nervensystem fundierte Courage, die Bescheidenheit.“
Gerade diese Qualitäten mangelten zu seinem und unserem Unglück
dem im übrigen so reich, so glänzend begabten Wilhelm II. Von ihm noch
mehr als von seiner Mutter galt das Wort, das über diese einmal einer der