Wilhelm II.
an die
Generalität
98 MIT REVOLVER UND DEGEN
die Landgräfin Anna von Hessen, eine Tochter des Priuzen Karl von
Preußen, die in ihrer Jugend viel geliebt hatte, im Alter Ruhe und Frieden
im Schoße der katholischen Kirche suchte. Er schrieb der alternden Büßerin
einen wutschnaubenden Brief, und ich hatte, als er mir das Konzept zeigte,
nicht geringe Mühe, die ärgsten Stellen auszumerzen. Der Kaiser bestand
aber darauf, daß die Wendung stehenblieb: „Das Haus Hohenzollern stößt
Eure Königliche Hoheit aus und hat Ihre Existenz vergessen.“ Umsonst
erinnerte ich Wilhelm II. an das Wort seines größten Vorgängers, daß im
preußischen Staat jeder nach seiner Fasson selig werden könnte, umsonst
auch an das noch schönere Wort des Heilands, daß im Hause unseres himm-
lischen Vaters viele Wohnungen sind. Die Neigung zu starken Worten war
nun einmal bei Wilbelm II. unüberwindlich. Freilich folgte auf den Donner
der Worte selten der Blitz der Tat. Mit seiner schönen Schwester Sophie
hat Wilbelm II. sich bald wieder ausgesöhnt und auch der Tante Anna nicht
lange gegrollt. Aber die Unbesonnenheit in Worten blieb doch bedenklich.
Im Sommer 1905 telegraphierte mir der Kaiser wiederum en clair: „,B.T.*
hat die Frechheit und Unflätigkeit, meiner Mutter die abscheulichsten
Sachen nachzusagen. Ich habe Plessen und Löwenfeld mit Revolver und
Degen auf das Redaktionsbüro geschickt und den Redakteur zum Widerruf
gezwungen. Ew. Exzellenz überlasse Ich, in geeigneter Weise das Schweine-
pack von Zeitungspiraten durch die Presse gebührend zu brandmarken.“
Die Auslassung des „Berliner Tageblatts“, die sich, wenn mich mein Ge-
dächtnis nicht täuscht, auf das alberne Gerücht bezog, die Kaiserin Friedrich
hätte nach dem Tode ihres Gemabls eine zweite Ehe geschlossen, ging mehr
aus Geschmack- und Taktlosigkeit als aus Bösartigkeit hervor. Die von Seiner
Majestät „mit Revolver und Degen“ auf das Redaktionsbüro geschickten
beiden Generäle hatten übrigens verständigerweise keinen Skandal provo-
ziert, sondern in einer von beiden Seiten mit Höflichkeit geführten Unter-
redung die Sache beigelegt.
Im Frühjahr 1905 hatte der Kaiser nach einer Parade, die er in Straß-
burg abhielt, die Generalität um sich versammelt und an sie eine Ansprache
gehalten, in der er in seiner farbenfrohen und drastischen, aber zu oft un-
besonnenen Art über Russen und Japaner gleichmäßig die Schale zorniger
Kritik ergoß. Er wisse von seinem Vetter, dem Prinzen Friedrich Leopold,
der es ihm erzählt habe, daß die russischen Generäle zwar keine General-
stabskarten besäßen, dafür aber Körbe voll Sekt mitgeschleppt hätten.
Das russische Heer, das bei Mukden gefochten habe, sei durch Alkohol und
Unzucht entnervt gewesen. Jetzt hätte Deutschland die Aufgabe, der
gelben Gefahr allein entgegenzutreten, da Rußland leider versagt habe.
Otliziere und Mannschaften des deutschen Heeres sollten strenge darauf
halten, daß ihre Zeit gut ausgefüllt sei, damit sie nicht wie die Russen in