Delcasss
wanks
Rettungs-
versuch des
Grafen Monts
114 DELCASSE, DER „GROSSE FRANZOSE“
auf die Oberaufsicht seiner Armee und seiner Finanzen zu bestärken und
ihm zu raten, die bei dem Madrider Vertrag beteiligten Kabinette be-
hufs Feststellung seiner Rechte zu einer Konferenz einzuladen. Ich betonte
dabei nochmals ausdrücklich, daß Deutschland für sich in Marokko keine
Vorteile anstrebe, dagegen die Aufrechterhaltung eines im Wesen verletzten
Vertrages für alle Vertragsteilnehmer wünsche. Dadurch, daß der Sultan
von Marokko nicht nur uns um Schutz anging, wurde unsere Stellung in
dem Streit gestärkt. Tattenbach behielt auch weiterhin die Scherifische
Majestät fest in der Hand. Graf Tattenbach war ein Altbayer und besaß
den tapferen Mut und die unbeugsame Festigkeit, die diesen wackeren
Volksstamm auszeichnen. Er war als bayrischer Offizier im Deutsch-Fran-
zösischen Krieg verwundet worden, ein treuer, ja leidenschaftlicher Patriot.
Inzwischen wurde die Lage von Delcasse schwierig. In der Sitzung
der französischen Kammer vom 19. April 1905 wurde er nicht nur von den
Sozialisten Jaur&s und Pressens€, sondern auch von dem früheren und
späteren Kammerpräsidenten, dem opportunistischen Deschanel, dem
schönsten und noch für Jahre hinaus glücklichsten Mann des französischen
Parlaments, heftig angegriffen, von dem Ministerpräsidenten Rouvier lau
unterstützt. Um so leidenschaftlicher trat, unbekümmert um die klare
Rechtslage, die englische Presse und Diplomatie für ihn ein. Die „Times“
hörte nicht auf, Delcasse den „großen Franzosen‘ zu nennen, während sie
gleichzeitig Deutschland bedrohte und schmähte. Die Idee einer Konferenz
über Marokko wurde von ihr als Demütigung, als Kapitulation weit abge-
wiesen. In derselben Richtung tobten auch andere englische Blätter:
„Daily Chronicle“, „Standard“, vor allem „Daily Mail“, das Organ North-
cliffes. König Eduard erschien am 6. April 1905 selbst in der französischen
Hauptstadt und riet dem Präsidenten Loubet in langer Unterredung,
Delcasse€ zu halten. Am 31. April 1905 traf der König auf der Rückkehr von
Nizza nochmals in Paris ein und empfing dort Delcasse zu eingehender
Rücksprache. Eduard VII. tat alles, was in seinen Kräften stand, um den
deutsch-französischen Streit erbitterter werden zu lassen, wie er sich auch
drei Jahre später eifrig bemühte, während der bosnischen Krise Rußland
gegen Deutschland aufzuhetzen. Er war ein geschickter Giftmischer.
Neben König Eduard, proximus sed longo intervallo, unternahm unser
Botschafter in Rom, Graf Monts, einen schüchternen, etwas seltsamen
Versuch, den schon stark ins Wackeln geratenen Minister Delcass€ zu
stützen. Bismarck hat nicht selten darüber geklagt, daß die deutschen
Diplomaten meist für irgendein fremdes Land schwärmten: der deutsche
Diplomat, der einige Zeit in England gelebt hätte, würde anglophil und
behaupte, daß man nur in England sich anzuziehen, nur in England zu
reiten und zu jagen, zu segeln, zu rudern, zu angeln und sich zu benehmen