DELCASSES SPIEL 117
Dagegen hatte er den ihm von Monts „suggerierten“ Gedanken eines
großen Arrangements zwischen Deutschland und Frankreich, ähnlich
dem englisch-französischen, unter das dann auch neben nahem und fernem
Orient Marokko zu subsumieren wäre, mit Begeisterung aufgegriffen.
Luzzatti hätte ausgerufen, daß, wenn ein solches Arrangement gelänge, die
Geschichte den Namen Kaiser Wilhelms II. als den des größten Pazifikators
der Weltgeschichte und eines zweiten Titus für immer in ihre ehernen
Tafeln eintragen würde. Hierbei stellte sich jedoch heraus, daß Herr Del-
casse Teilungsvorschläge meditierte oder vorspiegelte. Darauf hatte Monts
entgegnet, Deutschland könne den durch die Madrider Konvention ge-
schaffenen Boden nicht verlassen. Es verlange für sich nur die gleichen
Rechte wie für alle, und gerade deshalb sei seine Position so unangreifbar.
Übrigens wäre ja die ganze marokkanische Angelegenheit nur das Symptom
einer tiefgebenden Krankheit. An uns hätte es nicht gelegen, daß die
deutsch-französischen Beziehungen nicht schon längst normale und solche
geworden wären, wie sie zwischen Nachbarn bestehen sollten. Aber auch
der übergeduldige deutsche Michel lasse sich nicht dauernd als Quantite
negligeable behandeln.
Diesem langen Bericht hatte Monts einen Privatbrief beigegeben, in
dem er mir schrieb: „Ohne irgendwie der Entscheidung Eurer Exzellenz
vorzugreifen, möchte ich als meinen persönlichen Eindruck, wie ich ihn aus
den Äußerungen Luzzattis und sonstigen Symptomen hier gewinne,
Hochdemselben folgendes ehrerbietigst unterbreiten: Delcasse sucht augen-
scheinlich in geschickter Wendung dort eine Stütze, wohin er bisher alle
seine Angriffe richtete. Der ehrgeizige Mann sieht sich ohne einen Ausgleich
mit uns verloren. Vielleicht hätten wir daher a priori gerade mit ihm leichtes
Spiel. Dazu kommt, daß Barrere, der längst für Rom das Interesse verloren,
für sich persönlich den Berliner Posten bei der Sache heraushängen sicht.
Er-würde also mit Dampf arbeiten und schließlich seine gewichtige Stimme
einlegen, wenn die Verhandlungen, wie vorauszusehen, schwierig werden
sollten. Er wäre vielleicht später auch tatsächlich der richtige Mann, um
die Verhältnisse zwischen Berlin und Paris dauernd zu guten zu gestalten.
Eure Exzellenz würden ihn schon in seinen Schranken zu halten wissen!
Der ehrgeizige Barrere will partout persönliche Erfolge erringen. Er würde
mit Feuereifer vielleicht noch mehr für seinen Ruhm als für Frankreich
arbeiten, wenn er sein Spiel auf die erstklassige deutsch-französische Karte
setzen kann. Herr Barr£re hatte mir vor zwei Jabren in Camaldoli schon
einmal gesagt: ‚Weshalb habt ihr, statt den Dreibund zu erneuern, nicht
eine Allianz mit uns geschlossen * Das X für mich ist freilich die Wandel-
barkeit des französischen Volkscharakters. Oder sollte die Bourgeois-
Republik sich schon zu einem solchen Phäakentum und Philistertum