Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Wilhelm II. 
und General 
Lacroix 
122 DER FACKELTANZ 
Ministern getragen. Wilhelm II. fand mit Recht, daß es kein sehr ästhetischer 
Anblick wäre, bejahrte, zum Teil schon gebrechliche, zum Teil allzu beleibte 
Staatsmänner mühsam auf dem glatten Parkett des Weißen Saales eine 
Reihe von Rundgängen ausführen zu sehen, qualmende Fackeln in der 
Hand, die ibre reich vergoldeten Uniformen mit Wachs beträufelten. Er 
bestimmte, daß künftig junge und adrette Pagen die Fackeln tragen sollten, 
was in der Tat viel besser aussah. Jeder Prinz und jede Prinzessin mußten 
hinter dem Pagen, die paarweise vorausschritten, einen Rundgang durch 
den Saal unternehmen. Voraus schritt der Oberstmarschall Fürst Max 
Fürstenberg. Früher hatte der inzwischen zum Hausminister ernannte 
Oberhofmarschall und Oberzeremonienmeister Graf August Eulenburg mit 
unübertrefflicher Sicherheit, Würde und Vornchmheit den Fackeltanz 
geleitet. Er sah aus wie herausgeschnitten aus einem schönen Stich des 
Grand Sitcle. Aber auch Max Fürstenberg, wenngleich weniger distinguiert, 
gewährte in der roten Galauniform der Gardeducorps einen stattlichen 
Anblick. Ich stand während der Zeremonie neben dem französischen Bot- 
schafter, der mit einer Mischung von Melancholie und Neid die Bemerkung 
fallen ließ: „Et nous aussi, nous avons vu et connu tout cela lorsque le 
Roi-Soleil trönait a Versailles et attirait tous les regards. Enfin, chacun son 
tour, comme disait en mourant ce bon Benjamin Constant.‘ Das Hochzeits- 
fest des Kronprinzen war glänzend und mußte jeden kultivierten Europäer 
erfreuen, jeden, der nicht böotisch empfand. Und doch ließen auch die 
prächtigsten Hoffeste bei mir meist einen melancholischen Eindruck zurück. 
Ich entsinne mich einer Paradetafel am 2. September, dem Sedantag, nach 
deren Aufhebung Posadowsky und ich aus einem der Fenster des Schlosses 
auf das von der untergehenden Sonne rot beleuchtete Berlin blickten. Mit 
dem Ausdruck schweren Ernstes, der ihm eigen war, sagte mir Posadowsky, 
auf den roten Abendhimmel deutend: „Wenn der Kaiser fortfährt, so über- 
mütig und insbesondere so unbesonnen zu sein, so wird früher oder später 
dies Schloß von der Masse bedroht, vielleicht gestürmt werden.“ 
Als ich am 6. Juni 1905, etwas ermüdet von den langen Zeremonien der 
Hochzeitsfeier und noch mehr von der großen Hitze, die an diesem Tage in 
Berlin geherrscht hatte, mich gegen Mitternacht auf der Gartenterrasse 
neben meinem Arbeitszimmer in der nächtlichen Kühle erholte, ließ mir der 
Kaiser telephonieren, er habe soeben von Wolff die Nachricht erhalten, daß 
Delcasse zurückgetreten wäre. Ich hatte den Rücktritt erwartet, der mich 
freute, ohne mich zu überraschen oder gar zu erregen. Aber ich beging einen 
Febler, als ich mir nicht sogleich sagte, daß der Kaiser bei seinem Naturell 
und mit seinem Temperament aus der quälenden Sorge, die ihn wegen der 
Spannung mit Frankreich bisher beherrscht hatte, in das andere Extrem, 
in übertriebenen Jubel, übertriebene Hoffnungen und namentlich in ein
	        
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