Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Kritische 
Situation 
Rußlands 
128 WILHELM Il. UND „DER JUNGE“ 
Röder, befangen. Der erstere stützte seine Ansprüche auf die weitläufige 
Verwandtschaft seiner Frau, einer geborenen Hohenlohe, mit dem englischen 
Königshause, der letztere berief sich auf den Umstand, daß seine Gattin 
sogar von Geburt Engländerin wäre. Da die durch die Natur der Dinge 
hervorgerufene Gegnerschaft zwischen uns und England durch das un- 
freundliche Verhältnis zwischen dem Onkel in London und dem Neffen 
in Berlin noch verschärft wurde, so war ich bemüht, wenigstens in letzterer 
Richtung eine Besserung herbeizuführen. Unser Kronprinz gefiel dem 
König Eduard persönlich weit besser als unser Kaiser. Der Kronprinz war 
weniger glänzend als sein Herr Vater, nicht so vielseitig begabt, aber er 
war bescheidener als dieser, weniger laut, er hatte mehr Takt, eine Eigen- 
schaft, die bekanntlich angeboren ist und sich weder erwerben noch lernen 
läßt. Vor allem lagen zwischen dem König und seinem Großneffen nicht die 
bösen Erinnerungen, die seit San Remo und den neunundneunzig Tagen das 
Verhältnis zwischen Neffen und Onkel vergifteten. König Eduard hatte 
wiederholt seinen Großneffen zu einem Besuch in England eingeladen. 
Ich wünschte, daß der junge, damals dreiundzwanzigjährige Prinz die Ein- 
ladung annehmen möge, stieß aber auf hartnäckigen Widerstand sowohl 
beim Kaiser wie bei der Kaiserin. Der Kaiser wollte selbst gern nach Eng- 
land fahren, und zwar so oft als möglich. Wenn das nicht zu erreichen war, 
so sollte auch ‚der Junge“, wie er seinen ältesten Sohn zu nennen pflegte, 
nicht die Freuden englischer Gastfreundschaft und des großartigen engli- 
schen Lebens genießen. Es war damit nicht anders wie mit der Uniform 
der Gardeducorps. Auf seine wiederholte Bitte erhielt der Kronprinz 
zwar eine Schwadron bei diesem Eliteregiment, aber nicht dessen Uniform. 
Er mußte sich mit dem Koller eines Linien-Kürassierregimentes begnügen. 
Es gab Rechte und Genüsse, die Wilhelm II. mit niemandem, auch nicht 
mit seinem ältesten Sohn teilen wollte. Dahin gehörte das Recht, die 
stärksten Hirsche in Rominten zu schießen, das Monopol der prächtigsten 
Uniformen und das Herumreisen in England. Die Kaiserin war erst recht 
gegen eine englische Reise ihres ältesten Sohnes, schon aus Besorgnis, 
daß die Tugend des Kronprinzen in dem Lande der schönen Frauen und 
reizenden Misses gefährdet werden könnte. 
Je feindseliger gegen Deutschland die Stimmung in England wurde, 
um so mehr drängte Wilhelm II. nach der russischen Seite. Als letztes Ziel 
schwebte ihm ein regelrechtes und förmliches deutsch-russisches Bündnis 
vor, obwohl ich ihm schon bei meiner Geschäftsübernahme und seitdem 
wiederholt auseinandergesetzt hatte, daß das, was er im Frühjahr 1890 
mit der von seiner Seite erfolgten Kündigung des Bismarckschen Rück- 
versicherungsvertrages ausgeschlagen hätte, nachdem sich inzwischen die 
russisch-französische Allianz bei beiden beteiligten Völkern eingelebt habe,
	        
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