130 DIE RUSSISCHEN NIEDERLAGEN
wären. Auch Witte empfehle einen solchen, aber aus Ranküne gegen Kaiser
Nikolaus II. Gewiß würde ein Friedensschluß in diesem Augenblick,
meinte der russische Botschafter, momentan von der Presse in Rußland
und von den Börsenkreisen der ganzen Welt mit Befriedigung begrüßt,
aber bald nachher von dem ganzen russischen Volk als eine furchtbare
Demütigung empfunden und für diese der Zar persönlich und direkt ver-
antwortlich gemacht werden. „Ga pourrait £tre la fin.“ Wenn aber der Zar
durchhalte, würde sich die Lage für ihn bessern und für Japan verschlech-
tern. Der deutsche Generalstab beurteilte die militärische Lage in Ostasien
ähnlich. Er hielt es für ausgeschlossen, daß Rußland selbst durch weitere
japanische Siege zu Lande oder zu Wasser gezwungen werden könnte,
Frieden zu machen. Japan könne Sachalin und auch Wladiwostok erobern,
aber irgendwo in den sibirischen Steppen würde es haltmachen müssen und
werde dann genötigt werden, mit Gewehr bei Fuß und unter kolossalen
Geldopfern zu warten, bis die russische Armee nach längeren Monaten
wieder schlagfertig sei. General Kuropatkin habe einige große Fehler ge-
macht, aber bei Rückschlägen eine außerordentliche Tatkraft entwickelt.
Der russische Soldat habe auch im Unglück eine ganz ungewöhnliche
Widerstandskraft und Zähigkeit gezeigt. Unser Generalstab sah das ent-
scheidende Moment für Rußland in der Ausdauer. Für mich waren damals
zwei Momente entscheidend, um ein weiteres Durchhalten Rußlands
gegenüber Japan zu wünschen: einmal die Besorgnis, daß ein übereilter,
allzu ungünstiger Friedensschluß mit Japan den Zarenthron gefährden
könne. Ich hielt alles in allem mit meinem größten Vorgänger ein zaristisches
Rußland für den Weltfrieden wie für die deutschen Interessen für nütz-
licher als ein parlamentarisch regiertes oder republikanisches, in dem die
grundsätzlich und leidenschaftlich antideutschen panslawistischen Ele-
mente zu noch größerem Einfluß gelangen würden. Hiervon abgesehen,
erschien es mir in unserem Interesse ratsam, daß Rußland sich in Ostasien
so sehr als möglich engagierte, schon um dadurch die russische Aufmerk-
samkeit vom Balkan und die russischen Heere von der österreichischen und
deutschen Grenze abzulenken.
Kaiser Nikolaus stand seit seinem Regierungsantritt unserem Kaiser
mit gemischten Gefühlen gegenüber, bald freundschaftlich und selbst ver-
trauensvoll, bisweilen gereizt und übellaunig. Der Kaiser hatte den Zaren
nicht allein, wie ich schon mehrfach andeutete, durch allzu häufige und
unerbetene Ratschläge wie Besuche verstimmt, sondern auch mit seiner
fast naiv zur Schau getragenen Präpotenz, über die sich namentlich die
beiden russischen Kaiserinnen, Maria Feodorowna und Alexandra Feodo-
rowna, ärgerten. Diese Präpotenz kam nicht nur in den Briefen des Kaisers
zum Ausdruck, sondern auch in den nach seinen Angaben von seinem Leib-