DER ZUSATZ „EN EUROPE“ 139
Dagegen schreiben Sie mir jetzt: ‚Die Öffentlichkeit wird den Vertrag,
so wie er ist, als einen diplomatischen Reinfall für Deutschland ansehen.“
Falls die letztere Auffassung zutrifft, denke ich gar nicht daran, den Vertrag
gegenzuzeichnen, sondern werde ihn entweder durch Verweigerung meiner
Gegeuzeichnung hinfällig machen oder zurücktreten. Ich glaube mich nicht
zu irren, wenn ich Ihre Vermutung, daß der Zar den Vertragsentwurf
Seiner Majestät vorgelegt habe, für unrichtig halte. Ich glaube nicht ein-
mal, daß der Zar einen Vertragsentwurf mitgebracht hatte. Ich glaube bei-
nahe, daß der Zar, als er in Björkö erschien, gar nicht mehr an den Vertrag
dachte. Ich glaube, daß die ganze Initiative von Seiner Majestät ausge-
gangen ist — alles dies aber sauf erreur. Worin ich mich sicherlich nicht
irre, ist, daß der Zusatz ‚en Europe‘ nicht von Tschirschky inspiriert
worden ist. Beide Zusätze sind zweifellos von Seiner Majestät ausgegangen.
Tscbirschky trifft nur der Vorwurf, daß er den Zusatz ‚en Europe‘ nicht
verhindert hat. Deshalb ist es unmöglich, Seiner Majestät zu sagen, daß
Techirschky die Schuld an der Verschlechterung trüge; Seine Majestät ist
zu loyal, um das zu akzeptieren, wo es eben nicht der Fall ist. Wir dürfen
auch nicht vergessen, daß das Verdienst an dem Zustandekommen des
Vertrages — si merite il ya — lediglich bei Seiner Majestät liegt. Das alles
verhindert aber nicht, daß ich den Vertrag nicht akzeptiere und lieber ab-
gehe, wenn derselbe nach reiflicher Prüfung sich dem Lande als schädlich
herausstellt. Neugierig bin ich, ob meine Vermutung bestätigt werden wird,
daß Lambsdorff durch den Abschluß des Vertrages ebenso überrascht
worden ist wie Sie und ich. Sehr wichtig erscheint mir noch folgender
Punkt: Wenn wir den Vertrag mit Rußland konservieren wollen, so dürfen
wir nach meiner festesten Überzeugung in der nächsten Zeit keine
Schiebereien mit Frankreich haben und namentlich nicht in der Marokko-
Frage. Daß wir uns mit Frankreich im wesentlichen geeinigt baben, war
wohl zweifellos die Voraussetzung dafür, daß der Zar überhaupt auf den
Vertrag einging.“
Am 3. August unterbreitete ich dem aus der Ostsee nach Wilhelms-
höhe zurückgekehrten Kaiser den nachstehenden Immediatbericht, in
dem ich gegenüber einigen ungnädigen Randbemerkungen Seiner Majestät
zu zwei Telegrammen, die ich unmittelbar vor seinem Eintreflen in Björkö,
am 22. Juli, und sodann vor seiner Ankunft in Kopenhagen, am 28. Juli,
an ihn gerichtet hatte, Stellung nabm und dann ausführte:
„Ew. K. u. K. Majestät Allerhöchste Marginalien zu meinen unter-
tänigsten Telegranımen vom 22. und 28. v. M. habe ich zu erhalten
die Ehre gehabt. In einer für Ew. Majestät und das Land so ernsten
und wichtigen Frage, wie es der zwischen Ew. Majestät und Sr. Ma-
jestät dem Kaiser von Rußland abgeschlossene Vertrag ist, bin ich
Immediar-
bericht
Bülows