Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

146 DES KAISERS SEELENZUSTAND 
beide Völker und die Welt von größtem Segen, aber wir können es nicht 
von Berlin aus anregen; schlägt er es vor oder bittet darum, dann gehen 
Sie hin, und Gott sei mit Ihnen.‘ Nun geschah es also, Ich glaubte für Sie 
gearbeitet und etwas Besonderes geleistet zu haben, da senden Sie Mir ein 
paar kühle Zeilen und Ihre Entlassung! ! ! Meinen Seelenzustand Ihnen zu 
schildern, werden Sie, lieber Bülow, wohl Mir erlassen. Vom besten, in- 
timsten Freund, den Ich habe — seit meines armen Adolf Tode —, so 
behandelt zu werden, ohne Angabe eines stichhaltigen Grundes, das hat 
mir einen solchen fürchterlichen Stoß gegeben, daß ich vollkommen zu- 
sammengebrochen bin und befürchten muß, einer schweren Nerven- 
krankheit anheimzufallen! Sie sagen, die Situation durch den Vertrag mit 
‚en Europe‘ sei so ernst geworden, daß Sie keine Verantwortung über- 
nehmen können. Vor wem? Und im selben Atemzuge glauben Sie es vor 
Gott verantworten zu können, in der von Ihnen als besonders verschärft 
und ernst angesehenen Lage Ihren Kaiser und Herrn, dem Sie Treue ge- 
schworen, der Sie mit Liebe und Auszeichnungen überhäuft hat, Ihr Vater- 
land und, wie Ich glaubte, Ihren treusten Freund in derselben sitzenzu- 
lassen! ? Mein lieber Bülow, das werden Sie uns beiden nicht antun! Wir 
sind beide von Gott berufen und füreinander geschaffen, für unser liebes 
deutsches Vaterland zu arbeiten und zu wirken! Ist wirklich — was Ich 
nicht glaube — durch einen Fehler von Mir eine Ihrer Ansicht nach 
bedenklichere Situation geschaffen, so ist das im vollsten guten Glauben 
gewesen! So weit werden Sie Mich doch wobl kennen, um das anzunehmen! 
Ihre Person ist für Mich und unser Vaterland 100 000 mal mehr wert als 
alle Verträge der Welt. Ich habe sofort beim Kaiser Schritte getan, die 
diese beiden Worte abschwächen oder eliminieren sollen! Vergessen Sie 
nicht, daß Sie Mich persönlich gegen Meinen Willen in Tanger ein- 
gesetzt haben, um einen Erfolg in Ihrer Marokko-Politik zu haben. Lesen 
Sie Mein Telegramm vor dem Tangerbesuch durch. Sie haben Mir selbst 
gestanden, Sie hätten eine solche Angst ausgestanden, daß, als Sie die 
Meldung erhalten hätten, Ich sei wieder fort, Sie einen Weinkrampf bekom- 
men haben. Ich bin Ihnen zuliebe, weil es das Vaterland erheischte, gelandet, 
auf ein fremdes Pferd, trotz Meiner durch den verkrüppelten linken Arm 
behinderten Reitfähigkeit, gestiegen, und das Pferd hätte Mich um ein 
Haar ums Leben gebracht, was Ihr Einsatz war! Ich ritt mitten zwischen 
den spanischen Anarchisten durch, weil Sie es wollten und Ihre Politik 
davon profitieren sollte! Und jetzt wollen Sie, wo Ich das alles — und 
wie Ich zuversichtlich glaube, noch weit mehr — für Sie getan, Mich einfach 
fahrenlassen, weil eine Situation Ihnen zu ernst erscheint! ! Aber Bülow, 
das habe Ich nicht um Sie verdient! Nein, Mein Freund, Sie bleiben im 
Amt und bei Mir und werden mit Mir gemeinschaftlich weiterarbeiten ad
	        
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