Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

APPELL AN DIE FREUNDSCHAFT 147 
majorem Germaniae Gloriam. Sie sind Mir durch Meine diesjährige Ver- 
wendung ja geradezu verpflichtet. Sie können und dürfen Mir nicht ver- 
sagen, damit wäre Ihre ganze eigene diesjährige Politik von Ihnen selbst 
desavouiert und Ich auf ewig blamiert. Was Ich nicht überleben 
kann. Gönnen Sie mir ein paar Tage erst der Ruhe und Sammlung, ehe 
Sie kommen, denn die durch Ihre Briefe verursachte Nervenaufregung ist 
zu groß, Ich bin jetzt außerstande, in Ruhe zu debattieren. Ihr treuer 
Freund Wilhelm I. R.— P. S. Ich appelliere an Ihre Freundschaft für Mich, 
und lassen Sie nicht wieder etwas von Ihrer Abgangsabsicht hören. 
Telegraphieren Sie Mir nach diesem Briefe: ‚Allright!‘, dann weiß Ich, daß 
Sie bleiben! Denn der Morgen nach dem Eintreffen Ihres Abschieds- 
gesuches würde den Kaiser nicht mehr am Leben treffen! Denken Sie 
an Meine arme Frau und Kinder. W.— P.S. Habe ein Chiffretelegramm an 
den Zaren vorbereitet, worin Abänderung vorgeschlagen wird in Ihrem 
Sinne. Ich stehe seit Björkö so mit ihm, er hat ein so festes Vertrauen auf 
Mich, daß Ich hoffe, es zu erreichen. Soll Ich Sie und konstitutionelle 
Vertretungsgründe noch mit hineinbringen ? Oder nur von uns aus direkt? 
Bitte Drahtautwort. W.“ 
Als ich diesen Brief las, war ich tief bewegt. Es fehlt in dem Schreiben 
Seiner Majestät nicht an Übertreibungen. Einiges war frei erfunden. Die 
mir in den Mund gelegten feierlichen Abschiedsworte angesichts der Kreide- 
felsen von Saßnitz hatte ich nie gesprochen. Ich hatte dort nur dem Kaiser 
für den Fall einer Begegnung mit dem Zaren, der ich rebus sie stantibus 
nüchtern, eher skeptisch gegenüberstand, Vorsicht und ruhiges Blut an- 
geraten. Die von mir leider nicht genügend in Anschlag gebrachten Fähr- 
lichkeiten der Landung und des Einzugs in Tanger habe ich hinterher leb- 
haft bedauert. Die Behauptung, ich hätte dem Kaiser erzählt, daß ich nach 
seiner Abfahrt aus Tanger von einem Weinkrampf befallen worden wäre, 
war unwahr. Von einem solchen bin ich weder damals noch später heim- 
gesucht worden. Je n’ai pas la larme aussi facile, so locker sitzen mir die 
Tränen nicht. Mit diesem Weinkrampf verhält es sich ebenso wie mit den 
Weinkrämpfen, die Wilhelm II. in seinem nach der Entlassung des Fürsten 
Bismarck an Kaiser Franz Josef gerichteten Brief seinem größten Kanzler 
andichtet. 
Aber trotz solcher kleinen Schönheitsfehler erschütterte mich dieser 
kaiserliche Brief. Namentlich der Hinweis auf seinen unvollkommenen 
Arm rührte mich. Unter den vielen gewinnenden menschlichen Eigen- 
schaften des Kaisers war mir kaum eine sympathischer als die wahrhaft 
männliche Art, wie er die Lähmung seines linken Armes ertrug und über- 
wand. Ohne diesen körperlichen Mangel irgendwie zu verstecken, hatte er 
sich durch eiserne Konsequenzen trotzdem zu einem kühnen Reiter, einem 
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